Buchkritik -- Slavoj Žižek -- Hegel im verdrahteten Gehirn

Umschlagfoto, Buchkritik, Slavoj Žižek, Hegel im verdrahteten Gehirn , InKulturA Wie immer, ist auch Slavoj Žižeks neuestes Buch „Hegel im verdrahteten Gehirn“ eines, das Scharfsinn und Paradoxon auf eigenwillige Art und Weise mischt, die inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden ist. Sonst eher der Dialektik zwischen Vergangenheit und Gegenwart zugewendet, ist diesmal das Thema die Zukunft, nämlich die Aussicht, das menschliche Gehirn digital mit einer Maschine zu verbinden, eine direkte neuronale Verbindung herzustellen, die eine, das sollte man durchaus vorsichtig betonen, neue Ära in unserer Evolution einleiten könnte, nämlich die, in der sich die rein biologische Erscheinung des Menschen als obsolet erweisen könnte.

Es geht hier nicht nur um einen Menschen, der in der Lage ist, per Gedankenkraft die Heizung seines Hauses einzuschalten, sondern über die Möglichkeit eines digital stattfindenden Austauschs von Gedanken und Erfahrungen zwischen Menschen und/über Maschinen. Diese Singularität geht, folgt man dem Futuristen Ray Kurzweil, weit über Science-Fiction hinaus und steht unmittelbar bevor. Elon Musk und ein Team von Forschern arbeiten bereits an dieser Schnittstelle.

Marx Aussage über die Ware, die "voller metaphysischer Subtilität und theologischer Perversitäten" ist, gilt ebenfalls für die Singularität und wirft Fragen darüber auf, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, der sich diesem Spannungsverhältnis befindet.

Žižek greift auf das zurück, was er in seinem Buch „The Parallax View“ über den Film „Die Matrix“ gesagt hat. Neos Erfolg bei der Herbeiführung eines Systemausfalls in dem Film ist nicht die vollkommene Befreiung der Menschheit, wie es den Anschein erweckt. Die Erleuchtung, die er bewirkt, ermöglicht es den Menschen, physikalische Gesetze zu überschreiten und wie Balletttänzer durch die Luft zu fliegen, aber sie bleiben in der virtuellen Realität der Matrix. Die 'Wüste des Realen', ist das digitale Universum, das die sklavenähnliche Welt der Matrix erhält.

Wesentlich ist, dass es kein automatisches Entkommen aus der symbolischen Ordnung gibt, die unser Identitätsgefühl regelt und es ist eine Illusion, sich Singularität als Erlösung vom Fall vorzustellen. In Žižeks 'christlichem Atheismus' bezeichnet der Fall die Annahme, dass Menschen konstitutiv von anderen Lebensformen getrennt sind, die die Endlichkeit nicht verstehen können.

Unser Verständnis schafft die Sehnsucht nach einer organischen Ganzheit und substanziellen Einheit, einem Zustand des Glücks, der genau die Dimension darstellt, von der die traditionelle Theologie sagt, dass wir daraus gefallen sind. Unser Verlustgefühl schafft einen paradiesischen Ausgangspunkt, der nie da war, und Žižek sucht bei Hegel nach einer Möglichkeit, die Illusion der ontologischen Vollständigkeit zu erkennen und mit der damit verbundenen gebrochenen Kontingenz zu leben.

„Hegel im verdrahteten Gehirn“ leugnet die Singularität nicht, sondern versucht sie durch angewandte Philosophie vor der Vereinfachung zu retten. Er möchte wissen, wie direkte neuronale Verbindungen mit dem Unbewussten umgehen, eine Art der Subjektivität, die auch rückwirkend einen Ausgangspunkt schafft - sozusagen das Unbewusste als psychischen Bereich des Geistes. Dies geschieht jedoch erst nach ihren Auswirkungen auf das menschliche Verhalten. Um ein solches Paradoxon zu verstehen, interpretiert er Rupert Wyatts Film „Captive State“ aus dem Jahr 2019 als Beispiel dafür, wie die bekannte Fiktion - Außerirdische, die die Erde erobern - zu einem virtuellen Bezugspunkt für unsere gelebte Erfahrung werden kann.

Der zentrale Gedanke, der sich durch die sieben Kapitel dieses Buches zieht, ist die Leere, die das menschliche Subjekt und seine Konsequenzen für die Singularität definiert. Das grundlegende Versagen im Zentrum unseres Seins als sexuelle, sterbliche Wesen, das uns von uns selbst und anderen Tieren trennt, ist das Hindernis für die Vorstellung einer spirituellen Ordnung, die das Versagen hervorruft. Die libidinöse Energie und Unruhe, die die Matrix, die Freude, nährt, hat eine Parallele zum Erfolg des Kapitalismus, und die Singularität wird nicht anders sein, wenn es nicht gelingt, die Selbstentfremdung zu erkennen.

Žižeks Diktion verführt dazu, ihn zu schnell zu lesen und sich ihm als hippen Bilderstürmer zu nähern, dessen Ideen leicht verdaulich sind. Der von ihm angebotene intellektuelle Cocktail, der eine Fülle von kulturellem Wissen, akademischer Strenge und risikoreichen Witzen vereint, ist mit Gewinn zu goutieren - jedoch nur, bevor er sich in Abstrusitäten festsetzt und sich von der Notwendigkeit befreit, sich ernsthaft mit einigen komplexen Ideen auseinanderzusetzen, die er anfangs zu machen scheint.

„Hegel im verdrahteten Gehirn“ wägt die Schwierigkeiten und Chancen ab, die sich ergeben könnten, wenn Formen der Singularität ein Teil unserer Welt werden sollten. Aber sollen sie das wirklich?




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Veröffentlicht am 11. Dezember 2020