Buchkritik -- Franz Winter -- Bach

Umschlagfoto, Franz Winter, Bach, InKulturA Ein ebenso tragisches wie mysteriöses Ereignis im Leben von Johann Sebastian Bach war der plötzliche Tod seiner ersten Frau Maria Barbara im Jahr 1720. Bach, der seinen Förderer Fürst Leopold und dessen Hof auf einem dreimonatigen Kuraufenthalt in Karlsbad begleitete, erfuhr erst bei seiner Rückkehr nach Köthen vom Ableben seiner Frau. Während seiner Zeit in Karlsbad hatte Bach mit der 19-jährigen Sängerin Anna Magdalena Wilcke eine Affäre und ehelichte sie ein Jahr später.

Die Musikgeschichte hält sich, bis auf wenige nüchterne Fakten, zum Tod von Bachs erster Frau mehr als bedeckt und auch die Frage, warum er seine, mit großen Erfolgen verbundene Stelle als Hofkapellmeister in Köthen aufgab und die erheblich schlechter bezahlte Stelle des Thomaskantors in Leipzig annahm, ist bis heute nicht zufriedenstellend geklärt. Und so war es lange Zeit ein Desiderat, dass sowohl dieser überraschende Todesfall als auch der Wechsel nach Leipzig eine literarische Aufarbeitung erfährt. Diese Lücke hat jetzt Franz Winter mit seinem Roman "Bach" gefüllt.

Der Autor nutzt die spekulativen Möglichkeiten, die die Form des Romans bietet und eröffnet vor den Augen des Lesers ein großartig angelegtes Panorama des frühen 18. Jahrhundert, in dessen Fokus die Zerrissenheit Johann Sebastian Bachs zwischen seiner neuen Liebe und den Schuldgefühlen gegenüber der in seiner Abwesenheit verstorbenen Maria Barbara steht.

Bach, der während seines Aufenthaltes in Karlsbad in Gestalt der jungen Anna Magdalena die Macht der Liebe erfuhr, muss, Franz Winter erzählt es mit bohrender Eindringlichkeit, trotzdem, oder gerade deswegen?, am Boden zerstört gewesen sein, als er bei seiner Rückkehr nach Köthen ein leeres, kaltes Haus betrat, das einstmals das Heim seiner Familie gewesen ist. Die Frau tot, die Kinder untergebracht bei Verwandten. Das Gefühl der Schuld nagend am Verstand und erst nach der Lektüre des Briefes der Schwester Maria Barbaras das ganze Ausmaß der Tragödie und die Beweggründe seiner Frau verstehend. Immerhin war sogar in Köthen die Affäre Bachs mit der jungen Wilcke bekannt.

Franz Winter, ein profunder Kenner dieser Epoche, beschreibt mit sprachlicher Brillanz und wortmächtiger Erzählweise seine Sicht der Dinge, die, fiktiv wie sie ist, nichtsdestoweniger, ruft man sich das dezente Schweigen der Musikhistoriker in Erinnerung, so unwahrscheinlich nicht sein dürfte.

Natürlich, und das ist ein durchaus berechtigter Einwand, ist es für die Kenner von Bachs musikalischen Werken, die mit einer nahezu mathematischen Präzision komponiert wurden, fraglich, ob deren Schöpfer zu solch einer, vom Autor mit hochemotionaler Diktion beschriebenen Liebesbeziehung zu Anna Magdalena Wilcke überhaupt fähig war.

Aber genau diese, wohl niemals endgültig zu klärende Frage verleiht diesem Roman eine, den Leser tief bewegende Stimmung, die Franz Winter nicht zuletzt durch seinen, den Zeitgeist präzise erfassenden, opulent barocken Tenor widerspiegelt.




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Veröffentlicht am 30. November 2014