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Ulrich Wickerts „Der Raub im Tunnel“ wirkt, als hätte jemand den bourgeoisen Lack politischer Machtspiele mit der sanften Patina pariserischer Lebenskunst überzogen – und dann beides kräftig gegeneinander verrieben. Heraus kommt ein kriminalistisches Gewebe, das weniger an klassische Spannungsprosa erinnert als an jene feingliedrige Beobachtungsgabe, mit der Flaneure ihre Stadt sezierend lieben.
Paris tritt hier nicht als Touristensouvenir auf, sondern als vibrierender Organismus, der seine Bistros, Boulevards und Hinterhöfe wie diskrete Komplizen ins Spiel bringt. Man riecht den Kaffee, hört das Besteck und spürt die dünne Trennwand zwischen offizieller Grande Nation und jener zweiten, inoffiziellen Republik der Informanten, die stets ein paar Schritte schneller denkt als die Ministerialbürokratie.
Wickerts Gespür für Details, geschärft durch seine Jahre an der Seine, entpuppt sich als heimlicher Hauptdarsteller. Straßen, Plätze und Fassaden öffnen sich wie Archivmappen, die seit Langem darauf warten, dass endlich jemand ihre Ränder liest. Währenddessen verschränken sich Geheimdienste, Regierungszirkel und Justiz in einem Reigen, der erstaunlich wenig von Gerechtigkeit, aber umso mehr von Eitelkeiten, Konkurrenz und ritualisiertem Misstrauen erzählt.
Der eigentliche Kriminalfall wird so zum Scharnier einer viel größeren Konstruktion: einem politisch-bürokratischen Marionettentheater, dessen Fäden im Halbdunkel gezogen werden. Wer da noch von „Krimi“ sprechen will, unterschätzt die Eleganz dieses Spiels – und vielleicht auch die Lust des Autors, den Leser daran zu erinnern, dass Macht stets ihr eigenes, bisweilen komödiantisches Drehbuch schreibt.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 30. November 2025