Buchkritik -- Jürgen Drews -- Wendelins Traum

Umschlagfoto  -- Wendelins Traum, Jürgen Drews Was ist ein gelungenes Leben? Wie ist Bilanz zu ziehen nach einem Leben? Haben sich Träume und Ziele aus der Jugend erfüllt? Wurden die sich bietenden Gelegenheiten genutzt? Gab es Umwege, die zu gehen sich lohnte oder zeigt der individuelle Rückblick nur sinnloses und vergeudetes Leben?

Wolfgang Wendelin liegt nach einem Unfall seit Monaten im Koma und scheinbar besteht keine Hoffnung mehr, dass er wieder daraus erwacht. Seine Seele, die den Körper bereits verlassen hat, erzählt die Geschichte dieses Mannes, der als Junge während der letzten Kriegsjahre zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert wird. Bei einem Luftangriff der Royal Air Force auf Berliner Wohnhäuser kommt sein Spielkamerad ums Leben. Als auch sein Vater kurz vor Kriegsende bei der Verteidigung der Seelower Höhen fällt, werden die Weichen für sein weiteres Leben gestellt.

Schmerzhaft mit der Tatsache konfrontiert, dass jedes Leben auch ein Ende hat, stellt der junge Wolfgang die sich Frage, was übrig bleibt, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Diese spirituelle Frage wird seinen Lebensweg bestimmen. Wendelin wird katholischer Priester und beginnt seine lebenslange Suche nach dem, was man gemeinhin als Seele bezeichnet.

Jürgen Drews hat mit "Wendelins Traum" eine melancholische, jedoch niemals ins Klischee und Seichte abgleitende Lebensbeschreibung eines Mannes verfasst, der sein Leben in politisch bewegten Zeiten mit der Unbeirrbarkeit desjenigen geführt hat, der sich auf einer Suche befindet, die ihn niemals an sein Ziel führen kann.

Kindheit und Jugend trotz widriger Umstände harmonisch verlaufen. Das Abitur auf einem humanistischen Gymnasium gemacht, wo Wendelin auch die erste - und einzige - Liebe seines Lebens erlebt. Während des Theologiestudiums erfährt er von der Schwangerschaft seiner Freundin, was zum endgültigen Bruch dieser Beziehung führt. Wendelin entscheidet sich trotz großer Bedenken seines Mentors Bischof Kaulbach, der ihn eigentlich für eine Karriere in der römischen Kurie protegierte, für den Beruf des Priesters. Er übernimmt eine Stelle in der DDR und es dauert nicht lange, bis seine Tätigkeit und vor allem seine Predigten das Missfallen der Politik erwecken und er in Konflikt mit der Staatssicherheit gerät.

Nach seinem Unfall und dem sich daran anschließenden Koma betrachtet die Seele Wendelins sein Leben aus einem Blickwinkel, der, ohne Vorurteile und indoktrinierte, bzw. gelernte Prämissen, nüchtern und objektiv darüber Auskunft erteilt, ob das Leben, so wie es Wolfgang geführt hat, ein gelungenes gewesen ist.

Jürgen Drews lässt in seinem bewegenden Roman zwei Stimmen sprechen. Die eine, im Diesseits gebunden, ist das Leben Wendelins, so wie er es geführt hat. Die andere, im Jenseits gefangen, weitaus intensivere und ehrlichere, ist die Stimme derjenigen, die Bilanz ziehen kann, ohne durch Konventionen, Meinungen und religiösen Vorstellungen beeinflusst zu sein.

Überhaupt ist das Jenseits bei Drews kein gemütlicher Ort. Er ist mitnichten die christliche Vorstellung vom Paradies mit lächelnden und singenden Engeln, es ist noch nicht einmal ein einladender Ort. Es ist dort grau, neblig und vor allem einsam. Die Engel lassen sich selten blicken und wenn doch einmal, hat Wendelins Seele den Eindruck, dass auch sie nicht so recht wissen, in welche Richtung das Ganze sich bewegen soll.

Der Autor bringt mit den beiden Erzählebenen eine Dynamik ins Spiel, die Unruhe stiftet und kräftig an den Toren vermeintlicher Gewissheiten rüttelt. So lässt er die Seele Wendelins im Jenseits auf die des Josef von Arimathia treffen, die ihm glaubhaft versichert, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben sei, sondern überlebt hat. Sein letztendliches Schweigen war die Einsicht in das Scheitern seiner Mission.

Neben Josef von Arimathia irrlichtern Philosophen wie Karl Marx und Friedrich Nietzsche im Jenseits herum, denen Wendelins Seele peinliche Fragen stellt. Sie ist ein harter Richter über alle diejenigen, die die Menschen im Diesseits zu ihrem Glück zwingen wollten. Leid, Terror und Diktatur waren ihre steten Begleiter. In dieser Beziehung macht auch die katholische Kirche keine Ausnahme. Die Unfehlbarkeit des Papstes, auf dem 1. Vatikanischen Konzil (1869/70) als verbindliche Lehre der katholischen Kirche formuliert und die beinhaltet, dass Meinungsäußerungen, Predigten und Vorträge des Papstes keine unfehlbaren Äußerungen sind oder das Dogma vom Zölibat, auch die Kirche begibt sich auf Irrwege.

Ist Wolfgang Wendelins Leben eine gelungenes? Sein Ziel, den Vater wiederzusehen, hat sich nicht erfüllt. Aber er hat ein aufrechtes Leben geführt und auch bei politischen Schwierigkeiten ist er seinem Glauben treu geblieben. In einer Zeit aufgewachsen, die für intellektuelle Eskapaden aufgrund allseitiger Nachkriegsdefizite ohnehin kein Platz ließ, haben auch seine ehemaligen Schulkameraden sich nicht alle Träume erfüllen können. So vernimmt der Leser eine leichte Stimmung von Wehmut darüber, dass zwar berufliche Karriere und Familiengründung gemäß den bürgerlichen Erfolgsvorstellungen verlaufen sind, das Wesentliche, das zumeist nicht in Worte zu fassen ist und doch eine allgegenwärtige Konstante im Leben jedes Einzelnen ist, jedoch nicht gefunden wurde. Eine Ausnahme macht da nur sein Schulfreund Nico, der aufgrund seiner Tätigkeit als Pilot dem Himmel immer schon näher war, als die anderen.

"Wendelins Traum" ist ein Buch, das den Leser auch lange nach der Lektüre noch beschäftigen wird.




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