Buchkritik -- Emmanuel Todd -- Weltmacht USA - Ein Nachruf

Umschlagfoto  -- Emmanuel Todd  --  Weltmacht USA - Ein Nachruf Es ist so eine Sache mit dem Nachruf, wenn derjenige den diese Leichenrede betrifft, noch am Leben ist. Emmanuel Todd versucht sich mit einer Grabrede auf die USA und er scheitert daran. Sein Fazit: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind politisch und wirtschaftlich am Ende. Sie sind eine ausschließlich kosumierende Nation geworden. Ohne ihre Importe aus anderen Ländern wären sie nicht mehr dazu in der Lage, sich selber zu versorgen. Ihre militärische Stärke reicht nur noch aus, um über kleine, militärisch schwache Staaten zu siegen. Ihr offen propagierter Hegemonialanspruch täuscht Stärke vor, wo doch nur Schwäche und Niedergang herrscht. Soweit Emmanuel Todd.

Zur Begründung seiner These führt er die steigende Alphabetisierung und Geburtenkontrolle an, die dafür Sorge trägt, daß sich Staaten weiterentwickeln können. An dieser Stelle macht Todd seinen ersten Fehler. Die Statistiken die er als Beweis anführt sind schlichtweg falsch. Gerade die Länder der dritten Welt sind von diesen Erfolgen weit entfernt. Islamisch geprägte Länder haben sogar ein immenses Bevölkerungswachstum zu verzeichnen.

Die aus dieser, wo immer sie auch stattfindet, Entwicklung resultierenden brutalen Verwerfungen der Gesellschaft, nennt Todd lakonisch "Regelverluste in Übergangszeiten". Als typisch französischer Intellektueller negiert er auch den Einfluss der Religion auf Veränderungen, positiv oder negativ. Als Beweis stellt er die Behauptung auf, das die Irreligiösität der russischen und chinesischen Bauern Anfang des 20. Jahrhunderts die dortigen Revolutionen erst ermöglicht haben. Genial daneben! Damit nicht genug, behauptet Todd ebenfalls, daß es so etwas wie einen globalen Terrorismus nicht gibt und beschwert sich im gleichen Atemzug über die "hysterischen Diskussionen" der westlichen Welt über die Stellung der Frau in islamischen Ländern. Spätestens an dieser Stelle fragt sich der Leser dann doch in welcher Welt und zu welcher Zeit der Autor eigentlich lebt.

Was hat dies nun alles mit dem Nachruf auf die USA zu tun? Für Todd ist die Welt auf dem besten Weg in eine liberale, bessere Zukunft. Die bereits angesprochene globale Alphabetisierung und Geburtenkontrolle ist der Grund dafür. Die Volkswirtschaften entwickeln sich bestens und die vielen blutigen Konflikte sind nur temporäre Verwirrungen. Die Wirtschaft der USA hingegen stagniert. Die Amerikaner sind ausschließlich mit dem Konsum von Güter beschäftigt, welche nicht in den USA produziert werden, sondern importiert werden müssen. Ihre ehemals universalistische Politik ist einer hegemonialen Anspruchshaltung gewichen, die das ehemalige Miteinander der Staaten aufgegeben hat und sich aktuell nur noch an ihren eigene Interessen orientiert. Der Autor konstatiert einen Aufstieg der Plutokratie, ein Leben auf Kredit, eine oft verhängte Todesstrafe und eine übermäßige Konzentration auf Rassenfragen. All dies sind, so Todd, Manifestationen einer sterbenden Nation.

Der Autor pendelt argumentativ zwischen der kulturell-politischen Analyse von Samuel P. Huntington in Der Kampf der Kulturen und der politisch-wirtschaftlichen Endzeitvision von Francis Fukuyama in Das Ende der Geschichte. Seine Sympathie, wenn auch nicht Übereinstimmung, liegt bei Fukuyama. Die stimmigen Analysen Huntingtons dagegen lehnt er ab, ja muss sie geradezu verneinen, denn sie liegen seinem französisch-laizistisch geprägtem Weltbild diametral entgegen.

Der Leser hat oft den Eindruck, daß Todd die Schwäche Frankreichs auf der internationalen Bühne bedauert. Der französische Versuch einen Gegenpart zu Amerika zu bilden und eine führende Rolle in der Weltpolitik zu spielen, war bislang zum Scheitern verurteilt. Daran ändert auch das vom Autor beschworene neue Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich nichts. Die USA haben in einer sich verändernden Welt Stellung bezogen. Unabhängig davon ob dies allen gefällt oder nicht, es ist eine Tatsache, an der niemand vorbei kommt.

An sehr vielen Stellen ist sein Buch, veröffentlicht im September 2002, bereits überholt, so z. B. seine Analysen über England und Russland, die politische Einigung Europas, den globalen Terror und die Zunahme islamistischer Strömungen in Europa. Niemand hat die Gabe der politischen Prophezeiung, doch wenn sich jemand so weit hervorwagt wie Emmanuel Todd, der sollte doch zum einen besser recherchieren und zum anderen ruhig mal öfter seinen Elfenbeinturm verlassen, um zu schauen, wie die Welt wirklich aussieht.

Wie schon gesagt: Ein Nachruf zu Lebzeiten ist immer eine riskante Angelegenheit.




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