Buchkritik -- Thea Dorn -- Die Unglückseligen

Umschlagfoto, Thea Dorn  --  Die Unglückseligen, InKulturA Wer sich an den mit 560 Seiten opulent bestückten Roman "Die Unglückseligen" wagt, der braucht vor allem eines: Durchhaltevermögen. Sein Thema ist so alt wie die Menschheit und auch die moderne Molekularbiologie beschäftigt sich damit. Unsterblichkeit, das große Desiderat derjenigen, die die zeitliche Begrenzung jedes biologischen Lebens als Zumutung empfinden und den Tod als Unverschämtheit angesichts eines sich ausbreitenden Universums betrachten.

Thea Dorn lässt in ihrem Werk den Physiker Johann Wilhelm Ritter, geboren 1776, auf Johanna Mawet, eine in den USA an Zebrafischen zum Thema Unsterblichkeit von Zellen forschende Deutsche, treffen. Ritter, Philosoph und Frühromantiker, mit Goethe und Herder auf vertrautem Fuß, mit Schlegel und den Brentanos verkehrend, hat Anfang des 18. Jahrhunderts die UV-Strahlung entdeckt, experimentierte mit Elektrizität und gilt als Erfinder des ersten Akkus.

Diesem langlebigen Mann - dessen Geheimnis anscheinend ewigen Lebens nicht gelöst wird - begegnet Johanna eines Tages und gerät sukzessive in seinem Bann. Zwar dauert es eine Weile, bis sie seinen Ausführungen Glauben schenkt, doch dann verwischen sich zusehends die Konturen ihres Lebens, bis sie am Ende dem Wahnsinn nahe ist.

Thea Dorn leistet wahrlich literarische Schwerarbeit, die, teils mit stilistischen, teils mit typographischen Finessen aufwartet und zudem einen Taumel aus Gegenwartssprache und spätbarock-frühromantischer Ausdrucksweise bietet, dass dem Leser schwindlig wird, ob der virtuosen Sprachspielereien. Das kann die Autorin natürlich meisterhaft, doch es bleibt trotzdem der etwas schale Nachgeschmack des "zuviel des Guten".

So mutet es unglaubwürdig an, dass Ritter sich auch nach über 200 Jahre währendem Wandeln auf Gottes schöner Erde immer noch eines Idioms bedient, das ihn als Außenseiter auf dem Zeitstrahl outet und wohl eher das Interesse eines Psychiaters wecken dürfte, der über abweichendes Verhalten forscht.

Vollends abstrus wird der Plot allerdings, wenn der Langlebige erst durch den Kontakt zu Johanna Kenntnis der für ihn obskuren "Apfelgemeinde" erhält. Also wirklich, wenn der Mann, entgegen des fortschreitenden Zellverfalls normaler Menschen, durch die Zeit taumelt und keine Kenntnisse über den aktuellen Stand der Computer- und Kommunikationstechnik besitzt, ist das hart an der Verarschung des Lesepublikums.

Der Leser, der sich wacker durch den Roman, der im Parforceritt Themen wie Theodizee, Abtreibung, Verlusterfahrung und die Verschmelzung von Technik und Mensch in Gestalt intelligenter Roboter abhandelt, gekämpft hat und nur aus Respekt vor der voluminösen schriftstellerischen Leistung der Autorin das Buch nicht bereits nach den ersten 100 Seiten hat fallen lassen, der bleibt am Schluss etwas ratlos zurück.




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Veröffentlicht am 30. April 2016