Buchkritik -- Helena Graf -- Schlüsselgewalt

Umschlagfoto, Buchkritik, Helena Graf, Schlüsselgewalt, InKulturA Schlüsselgewalt bedeutet das Recht eines Ehegatten, ein Rechtsgeschäft zur Deckung des Lebensbedarfs auch für und gegen den anderen Ehegatten durchzuführen. Dieser Begriff findet sich bereits in der Antike und wurde bis ins Mittelalter angewendet. So trugen verheiratete Frauen einen Schlüsselbund als sichtbares Zeichen ihres Rechts.

Helena Graf hat diesen, sogar im Bürgerlichen Gesetzbuch [BGB] in § 1357 BGB normierten Terminus als Titel ihres Buches gewählt und weist darin nach, dass der derzeit praktizierte Hype um „Gender“ und dessen mittlerweile in der Gesellschaft angewandten akademischen Denkstrukturen und der daraus resultierenden politischen Handlungen, um es salopp zu formulieren, das Kind mit dem Bade ausschüttet.

Die Gleichberechtigung der Frauen ist, obwohl durchaus noch einiges im Argen liegt, weit vorangeschritten. Pilotinnen, Managerinnen, Politikerinnen und alle diejenigen, die in vormals von Männern besetzten Posten und Berufen tätig sind, zeigen den Erfolg des langen Kampfes um gleiche Rechte.

Niemand soll, egal welche sexuelle Orientierung die Person präferiert, so zumindest das Gesetz, aus diesem Grund benachteiligt oder verfolgt werden. Die Gesellschaften, zumindest die der demokratisch regierten Ländern, sind durchlässig und tolerant gegenüber anderen Lebensentwürfen geworden.

Doch seit Jahren, die Autorin thematisiert es, macht sich eine aus dem akademischen Biotop entwichene Idee daran, im Namen eines Gleichheitsfeminismus die biologischen und nachgewiesenen psychologisch-medizinischen Unterschiede zwischen den zwei Geschlechtern, zwischen Mann und Frau, als Konstrukte eines Unterdrückungsmechanismus zu entlarven.

Nur allzu gern und oft berufen sich die Verfechter dieser Theorie auf den Satz Simone de Beauvoirs, die davon sprach, dass eine Frau nicht als solche geboren wird, sondern dazu gemacht wird. Helena Graf stellt klar, und belegt das mit den Forschungsergebnissen und Aussagen von Christoph Raedel, Manfred Spreng und Harald Seubert, dass sich dieses „gemacht werden“ ausschließlich, wie von de Beauvoir auch intentiert, auf die gesellschaftlich-soziale Konditionierung und keinesfalls auf eine beliebig vornehmen zu könnende Selbstkonstruktion des Individuums bezieht.

Sucht man das ideologische Fundament des Gleichheitsfeminismus, so wird man beim Marxismus fündig, der jetzt um- und fehlinterpretiert wird und dessen heutige Apologeten die Zielvorstellung einer für alle gleichen Welt haben, welche die Menschen von der „Klasse des Geschlechts“ befreit.

Es ist diese krude These von der jeweils individuell vorzunehmenden Konstruktion eines beliebigen Geschlechts, die, so die Ideologie der, ich bezeichne sie als „Sexualmarxisten“, sich unter aktiver Beteiligung von Politik und Medien daranmacht, eine geschichtlich bewährte und die Stabilität und das Funktionieren der Gesellschaft garantierende Eltern-Kind-Beziehung zu zerstören.

Wohlgemerkt, Helena Graf wendet sich vehement gegen tradierte, nicht mehr in die Zeit passende Unterdrückungs- und Ausgrenzungsmechanismen und starre Rollenverteilungen, die der Mutter den Platz im Haushalt und bei den Kindern zuweisen. Sie plädiert zu Recht für einen Differenzfeminismus, der sich der unterschiedlichen biologisch-physiologischen Tatsachen bewusst ist, dem es aber trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen gelingt, sowohl Männern als auch Frauen die Freiräume und die Möglichkeiten zu individueller Entfaltung – beruflich und gesellschaftlich – zu garantieren. Kein Staat kann, wenn er funktionieren will, darauf verzichten, die besten und klügsten Köpfe in den richtigen Positionen zu wissen.

Doch, und das müssen die Leser und Leserinnen im Hinterkopf behalten, die neomarxistische Ideologie der „Gleichheit“ ist der Wegbereiter einer globalen Agenda, die weder staatliche noch biologisch-psychologische Grenzen kennt und in der die Menschen von der „Bürde und Last“ der Verantwortung gegenüber sich und anderen entbunden werden. „Ich mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt“, funktioniert aber nur bei Pippi Langstrumpf.

Die neuen Marxisten treiben ein gefährliches Spiel, denn sie arbeiten direkt der globalen Elite des Finanzkapitalismus in die Arme, deren Waren- und Geldfetisch längst keine politischen Grenzen mehr kennt. Was diesem jetzt noch fehlt, und daran arbeiten die ersteren, ist ein sich täglich neu erfindender und gendergerechter Konsument, der, gemäß seiner „Häutungen“ ein gern gesehener „Kunde“ ist.

„Schlüsselgewalt“ ist ein Buch, an dem niemand vorbeikommt, der sich mit dieser Thematik kritisch auseinandersetzen will. Ein auf weiterführende Literatur hinweisendes Verzeichnis und ein Glossar runden diese Streitschrift ab.




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Veröffentlicht am 28. November 2020