Seit fast sechzig Jahren besteht die Beschäftigung mit der Deutschen Geschichte im wesentlichen darin, auf die zwölf verhängnisvollen Jahre des Nationalsozialismus reduziert zu werden. Fragt man nach dem Grund und dem Auslöser des Zweiten Weltkriegs, dann bekommt man gebetsmühlenartig, und darin auch von der überwiegenden Zahl der Geschichtsbücher vertretenen Meinung vorgetragen, daß Deutschland unter dem Hitlerregime die Alleinschuld trifft. Da bekanntlich die Geschichte(n) von den Siegern geschrieben wird, war dies bislang nicht weiter verwunderlich. Jetzt scheint sich jedoch allmählich die bornierte Engstirnigkeit der Geschichtswissenschaft aufzulösen und es beginnt die Bereitschaft zur Auswertung von nüchternen Fakten.
Stefan Scheil hat dies in seinem Buch Fünf plus Zwei - Die europäischen Nationalstaaten, die Weltmächte und die vereinte Entfesselung des zweiten Weltkriegs getan. Seine Grundaussage besteht darin, daß sich, bei gutem Willen aller fünf beteiligten europäischen Nationen wie England, Frankreich, Italien, Deutschland und Polen und eben solchem Willen auch bei den zwei außereuropäischen Mächten wie der USA und der UdSSR, der bewaffnete Konflikt hätte vermeiden lassen. Für seine These führt der Autor umfangreiches Beweismaterial an.
Es war die Unfähigkeit, fast ist man versucht zu sagen, die Unwilligkeit der europäischen Nationalstaaten, wie gerade England unter Churchill, der niemals dem Frieden eine Chance gegen wollte und Frankreich, die nicht von ihrer jeweiligen Position weichen wollten. Kein Nationalstaat Europas hatte mehr die Kraft dazu, eine überragende und ordnende politische Rolle zu spielen. Die an Polen gegebenen Sicherheitsgarantien von England führte auf polnischer Seite dazu, die politische Situation falsch einzuschätzen und die eigene militärische Stärke zu überschätzen. Die USA waren bestrebt, ihre eigenen wirtschaftliche und politischen Ziele auch in Europa zu etablieren und die UdSSR bereitete sich längst auf einen Angriff vor, der ihr Herrschaftsgebiet bis nach Zentraleuropa ausgeweitet hätte. In dieser Situation der gesamteuropäischen Schwäche lag ein Pulverfaß, das jederzeit explodieren konnte.
Die deutsche Führung war sich sehr wohl darüber im klaren, daß ihre Ressourcen nicht für eine militärische Auseinandersetzung ausreichen würden. Aus diesem Grund wurden von deutscher Seite immer wieder Vorschläge für eine konstruktive Lösung der Probleme (der Korridor nach Danzig, die Frage der deutschen Minderheit in Polen und der Tschechoslowakei usw.)gemacht. Niemand wollte jedoch den an bestehenden Konstellationen rütteln, obwohl sogar Englands Führung unter Chamberlain und Frankreich die deutschen Forderungen als legitim bezeichneten. Diese Unbeweglichkeit im Verein mit dem drohenden Angriff der UdSSR auf Deutschland brachte Deutschland, Europa und letztendlich die Welt auf den Weg zu einem Krieg, den mit Ausnahme der UdSSR, bzw. Stalin eigentlich niemand wollte.
Stefan Scheil hat in seinem Werk diese, bislang nicht zur Kenntnis genommenen Fakten akribisch untersucht und er belegt seine These mit umfangreichem Quellenmaterial. Es scheint sich einmal mehr zu bestätigen, daß die Zeit reif dafür ist, die eigentlichen historischen Fakten abseits aller historischen Verblendung wahrzunehmen. Dieses Buch trägt einen wesentlichen Anteil dazu bei.
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