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Buchkritik -- Sophie Stava -- Eine falsche Lüge

Umschlagfoto, Buchkritik, Sophie Stava, Eine falsche Lüge, InKulturA In unserer Gesellschaft fungiert das Lügen nicht selten als unsichtbarer Antriebsmotor für soziale Anerkennung und Zugehörigkeit: Indem wir unsere Schwächen kaschieren und unsere Erfolge ausschmücken, weben wir an einem glänzenden Teppich aus Selbstinszenierung, der Bewunderung und Status verspricht. Schon Aristoteles ahnte, dass das, was wir von uns geben, weniger der Wahrheit denn dem Idealbild unseres Ichs folgen müsse, um im öffentlichen Diskurs Gehör zu finden. In dieser Feinmechanik der Selbstdarstellung wird das Lügen zur Rhetorik der Unverwundbarkeit, zum Schmiermittel gesellschaftlicher Hierarchien, eine Kunst, die uns auf den Bühnen menschlicher Beziehungen oftmals höher trägt als die unspektakuläre Ehrlichkeit. Doch birgt dieser Triumph der Fiktion das latent gefährliche Potenzial, die Grenzen zwischen Schein und Sein so zu verwischen, dass nicht nur das Publikum, sondern wir selbst die Wirklichkeit aus den Augen verlieren.

Sloane Caraway ist da keine Ausnahme, denn sie stellt von Anfang an klar, dass die Wahrheit langweilig ist, und diesbezüglich nachgeholfen werden muss. Lügen ist nicht nur eine Gewohnheit, es ist ihre Art, ihr Leben für andere Personen interessanter zu gestalten. Sloane lebt weit entfernt von Reichtum und Privilegien und sehnt sich nach einem Lebensstil, den sie nicht erreichen kann und ihre Probleme werden früh deutlich. Ihr zwanghaftes Lügen, unterlegt mit Andeutungen einer problematischen Vergangenheit, macht sie sofort zur „unzuverlässigen Erzählerin“, die so gerne ganz anders wäre, als sie ist.

Zu Beginn des Romans arbeitet Sloane in einem Nagelstudio und unterstützt gleichzeitig ihre Mutter in Brooklyn. Während einer Mittagspause im Park bemerkt sie Jay Lockhart, einen gutaussehenden Mann, mit seiner kleinen Tochter. Als das Mädchen von einer Biene gestochen wird und anfängt zu schreien, will Sloane helfen und behauptet, Krankenschwester zu sein. Von diesem Moment an häufen sich ihre Lügen und sie setzt eine dramatische Entwicklung in Gang. Manche ihrer Täuschungen sind beunruhigend, andere geradezu alarmierend. Sophie Stava zwingt den Leser, über die Moral des Lügens nachzudenken, wann ist es harmlos, wann wird es gefährlich?

Sloane ist fest entschlossen, Teil der Welt der Familie Lockhart zu werden, arrangiert ein Treffen mit der Mutter des Mädchens, Violet, und erschleicht sich bald einen Job als Kindermädchen. Stava gestaltet Sloanes Charakter mit präziser Diktion und macht sie sowohl faszinierend als auch zutiefst verstörend und der Leser fragt sich mehr als einmal: Ist sie eine harmlose Fabulistin oder eine kalkulierte Manipulatorin?

Doch dann, als man Sloanes Lügens müde zu werden droht, erhöht die Autorin das Tempo und es beginnen die eines Thrillers würdigen Wendungen.

Täuschung steht im Mittelpunkt dieses Romans und macht ihn zu einem fesselnden Pageturner, weil die Motive jeder Figur, alle drei erzählen aus ihrer eigenen Perspektive, fragwürdig sind. Stava lotet meisterhaft die Kluft zwischen öffentlichen Persönlichkeiten und verheimlichten Wünschen aus. Was wir der Welt zeigen, ist nicht immer die Wahrheit, was also ist es?

Sobald der Leser beginnt, Sloane zu verstehen, ändert sich die Lesart. Violet übernimmt die Rolle der Erzählerin und enthüllt ihre eigenen Gründe für ihr sorgfältig geplantes Leben. Oberflächlich betrachtet hat sie alles, was Sloane sich wünscht, Reichtum, Status, eine scheinbar perfekte Ehe. Doch im Laufe ihrer Geschichte wird klar, dass ihre Privilegien es ihr erlauben, die Realität genauso zu manipulieren wie Sloane, wenn auch auf eine gesellschaftlich akzeptablere Weise.

„Eine falsche Lüge“ ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema Vertrauen; wem kann man glauben, wenn alle lügen? Als Sloane widersprüchliche Informationen von Jay und Violet erhält, ist der Leser gezwungen, alles bisher Geglaubte zu überdenken. Die Risse in der Bilderbuch-Ehe der Lockharts weiten sich und enthüllen ein verworrenes Netz aus Täuschungen.

Schließlich übernimmt Jay die Rolle des Erzählers, was die Geschichte noch komplexer macht. Doch am Ende ist es Sloane, die das Buch – leider auf eine etwas zu zuckersüße Weise – abschließt und ihren Platz als eine der fesselndsten unzuverlässigen Erzählerinnen des Thriller-Genres einnimmt.




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Veröffentlicht am 16. Juli 2025