Buchkritik -- Jakob Anderhandt -- Rote Schatten

Umschlagfoto  --  Jakob Anderhandt  --  Rote Schatten Zwei Deutsche, Vater und Sohn, in den Wirren der Kulturrevolution in China. Vordergründig auf der Suche nach seinem Bruder Karl, hauptsächlich jedoch um einem Leben in Mittelmäßigkeit und verpaßten Möglichkeiten zu entfliehen, reist Robert Fenson mit seinem Sohn Jonathan nach Beijing. Dort angekommen, geraten sie in den Strudel, der von und in der Pekinger Universität begonnenen Kulturrevolution. Beide werden auf verschiedene Weisen an den Unruhen beteiligt. Robert als Übersetzer von Propagandatexten, sein Sohn als Schütze einer Schülergarde. Schnell wird klar, daß beide, obwohl als Ausländer von hoher offizieller Seite geschützt und privilegiert, doch nur ein Spielball der revolutionären Kräfte sind.

Jakob Anderhandt hat mit Rote Schatten einen Roman veröffentlicht, der sich im wesentlichen an die historischen Tatsachen der Jahre von 1965-1968 hält. Um sie herum hat er eine Geschichte voller Tragik, aber auch unfreiwilliger Komik geschrieben. Ein anderes Wort für Revolution ist Chaos. Dieses Chaos bekommen die Fensons am eigenen Leib zu spüren. Robert wird, nachdem er sich einige Kenntnisse der chinesischen Sprache angeeignet hat, dazu gezwungen im Fremdsprachenverlag Texte der offiziellen Parteilinie anzupassen. Sein Sohn beteiligt sich mehr oder weniger freiwillig an militanten Aktionen gegen sog. Abweichler.

Der Autor gibt dem Leser eine Ahnung von den Wirren und Kämpfen der Kulturrevolution. Seine Figuren zeichnet er realistisch und mit beklemmender Intensität. Wie in Zeiten politischer Wirren üblich, so werden auch hier Teile des Bodensatzes der Gesellschaft zu temporär einflußreichen und gefährlichen Agitatoren, vor deren Macht sich nicht nur die politischen Gegner fürchten müssen. Die korrekte Beantwortung parteipolitischer Fragen entscheidet über Leben und Tod. Niemand kann sich wirklich sicher sein, den nächsten Tag noch zu erleben. Ein Menschenleben gilt nicht mehr viel.

Jakob Anderhandt zeigt mit den Erlebnissen von Robert und Jonathan die Transformationen des Individuums in einer nicht mehr von ihm kontrollierten Situation. Persönliche Beziehungen werden zerstört, bzw. entstehen erst gar nicht. Sicherheit und individuelle Freiheiten werden dem ideologischen Gleichmaß geopfert. Die Angst erzeugt Mitläufertum und Heuchelei. Die Stunde der Demagogen kann beginnen.

Rote Schatten ist ein bewegender und erschreckender Roman zugleich. Seine Protagonisten stehen exemplarisch für die Millionen Menschen, die Opfer von politischen Ideologien und Kämpfen geworden sind. Die dabei ablaufenden Mechanismen sind immer die gleichen. Abweichen von der offiziell propagierten Linie gebiert Angst. Diese Angst führt in die Einsamkeit und die letztendliche Vernichtung der Individualität.

Was als Schritt in ein anderes, neues und inhaltsvolleres Leben geplant war, wurde zu einem realen Alptraum. Robert und sein Sohn werden von den Ereignissen so stark gezeichnet, daß sie nicht ohne bleibende Schäden davonkommen.

Ein gut recherchierter und geschriebener Roman kann dem Leser historische Ab- und Irrläufe besser schildern, als nüchterne Geschichtswerke. Jakob Anderhandt hat es mit diesem Buch bewiesen.




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