Buchkritik -- Robert Nozick -- Anarchie, Staat, Utopia

Umschlagfoto  -- Robert Nozick  --  Anarchie, Staat, Utopia Wie sollte ein Staat beschaffen sein, bzw. welchen Prämissen sollte seine Politik folgen? Sozialstaat oder doch eher libertär? Soziale Rundumversorgung oder extreme Selbstverantwortung des Einzelnen? Nicht zuletzt die Beantwortung dieser Fragen entscheidet über Wohl und Wehe eines politischen Systems.

Robert Nozick hat auf diese Fragen eine deutliche Antwort gegeben. Sein 1975 veröffentlichtes Buch Anarchie, Staat, Utopia ist eine klare Absage an einen Staat, der auf dem Konzept einer Verteilungsgerechtigkeit beruht. Dieses Konzept, von John Rawls entwickelt, wurde von der Theorie des Minimalstaates, wie es Nozick in seinem Buch ausführt, radikal in Frage gestellt.

Nozick, einer der Vordenker des Neoliberalismus, vollzog mit seinem Werk eine radikale Kritik am Konzept des Wohlfahrtsstaates. Für ihn ist der Staat nur gerechtfertigt, wenn er sich auf den Schutz gegen Gewalt, Diebstahl und Betrug beschränkt. Allenfalls hat er noch die Pflicht dafür zu sorgen, daß geschlossene Verträge eingehalten werden.

Zur Zeit der ersten Veröffentlichung dieses Buches waren es radikale Thesen, da gerade in den siebziger Jahren die herrschende Meinung bestand, daß nur eine egalitäre Gesellschaft moralisch gerechtfertigt sei. Dieses Gesellschaftssystem konnte nur funktionieren, wenn man dafür eine umverteilende Besteuerung benutzte. Die Grenzen dessen sieht man heute auf erschreckende Weise, denn die Sozialsysteme sind bereits über ihre Grenzen hinaus belastet

Insofern hatte Nozick einen durchaus richtigen Denkansatz gewählt. Doch sein Konzept besitzt auch deutliche Schwächen. Zum einen baut er sein System auf den Naturzustand Lock`scher Deutung auf. Nichts ist jedoch argumentativ unsicherer als ein Bezug auf einen, wie auch immer gearteten Naturzustand, ja es ist überhaupt fraglich, ob es einen solchen jemals gegeben hat. Er, der Naturzustand, ist im wesentlichen nichts anderes, als eine argumentative Hilfskonstruktion, um eine scheinbar festes gedankliches Fundament zu besitzen. Auf einer Theorie des Naturzustandes können alle möglichen politischen und sozialen Theorien aufbauen.

Doch nicht nur das Fundament von Nozicks Gedanken ist wackelig, sondern auch seine weiteren Ausführungen des Minimalstaates sehen ausschließlich ökonomische Prinzipien am Werk. Nozick zieht die Grenze der Person nicht nur um den jeweils eigenen Körper, sondern er bezieht auch dessen Eigentum mit ein. Zwischenmenschliche Kommunikation besteht im Wesentlichen ausschließlich im Abschluß von Verträgen, welche eben dieses Eigentum schützen sollen. Als ideologischer Grundsatz eines Staates ist das zu wenig, um tatsächlich die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten.

Gedanklich brillant und argumentativ bestechend von Nozick formuliert, nahm er die Reformen der Thatcher- und Reagan-Jahre vorweg. Seine Tragik bestand darin, daß er sehen konnte, wie seine Theorien in die Praxis umgesetzt wurden. Ende der neunziger Jahre begann Nozick seine Theorien zu revidieren. Er gab zu, daß er den Minimalstaat zu einseitig beschrieben hatte und daß die Politik auch Bedürfnissen und Idealen Beachtung schenken muß.

Robert Nozick, ein Vordenker und ein Renegat, der es vermied, sich dem akademischen Mainstream zu unterwerfen, hatte ebenfalls die intellektuelle und moralische Größe, seinen Irrtum einzugestehen. Das ändert jedoch nicht das Geringste an der Brillanz seines Werkes.




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