Leseprobe -- Gregor Hochreiter -- Krankes Geld - Kranke Welt*

Der drohende Totalitarismus
Zynisch gesprochen haben die Nationalsozialisten die richtigen Lehren aus der wirtschaftspolitischen Fehlleistung der Weimarer Republik in der Zeit der Hyperinflation gezogen. Als sich im Verlauf der 1930er-Jahre die Teuerung infolge der Inflationierung bemerkbar machte, wurde der Preisauftrieb mit der ganzen Härte des Gesetzes bekämpft.

Am 26. November 1936 wurde die „Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen" erlassen. Nicht einmal zwei Jahre später trat die „Verordnung über Lohngestaltung" (25. Juni 1938) in Kraft. Die ökonomischen Folgen dieser Maßnahme waren abzusehen: Wie bei jeder Festlegung eines administrativen Höchstpreises unterhalb des Marktpreises verschwanden die Waren nach und nach vom Markt. Weil nicht nur einzelne Preise am Steigen gehindert wurden, sondern die Teuerung überhaupt gehemmt werden sollte, verlor das Geld zusehends seine Funktion als Tauschmittel. Die Nachfrage nach Geld ging zurück. Niemand wollte mehr zu den vorgeschriebenen Höchstpreisen seine Ware feilbieten. Die realen Preise waren in den Augen der Verkäufer schlicht zu niedrig. Mehr schlecht als recht ersetzten die von den staatlichen Behörden zugeteilten Bezugsscheine und Anteilsscheine das Geld:

„Es war den Finanzfachleuten des nationalsozialistischen Staates zweifellos gelungen, eine ins Uferlose gehende Preisinflation [= Teuerung] zu vermeiden. Dafür sorgte die rigorose Unterdrückung aller Preisauf triebstendenzen. Sie war nur durch eisernen Zwang möglich und durch immer weiter um sich greifende Rationierung, bis die Marktwirtschaft effektiv zu bestehen aufhörte und einer ausgeklügelten Zuteilungswirtschaft Platz gemacht hatte. In einer solchen aber hat das Geld seine zentrale Funktion als Träger der Kaufkraft eingebüßt. Und so war es auch in der Tat. Das Geld war nebensächlich geworden. Wichtig war lediglich, dass der einzelne seine Anteilscheine in Form von Brotoder Fettmarken oder eines Bezugsscheines für Schuhe oder Spinnstoff- waren erhielt und — einlösen konnte, was nur mit immer größeren Schwierigkeiten und in immer längeren Zeitabständen möglich war." Die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen dieser Maßnahme waren katastrophal. Eine Geldwirtschaft ist zum einen effizienter als eine staatliche Zuteilungswirtschaft. Als Lenin zu Beginn seiner Terrorherrschaft den privaten Handel verbot und das Geld abschaffte, bezahlten Millionen von Russen dieses menschenverachtende Experiment mit ihrem Leben. Zum anderen verleiht die dezentrale Geldwirtschaft einer Person eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber ihren Mitmerischen, aber insbesondere gegenüber dem Staat. Unabhängig von der persönlichen Einstellung den Machthabern gegenüber kann sich jede über Geldmittel verfügende Person mit Waren und Dienstleistungen ihrer Wahl eindecken. Mit der staatlichen Ausschaltung der Geldwirtschaft tritt an die Stelle des uralten, paulinischen Prinzips „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen" (2 Thess 3, 10) der Grundsatz „Wer nicht gehorcht, soll nicht essen" (Leo Trotzki). Eine Diskussion über die mögliche weitere staatliche Begrenzung der Geldwirtschaft ist somit ein untrügliches Zeichen für einen heraufziehenden Totalitarismus.

Im Zeitalter der digitalen Erfassung der Menschen kann eine rein auf den Machterhalt fixierte Politik, die aus diesen historischen Erfahrungen die — machiavellistisch gese hen — richtigen Schlüsse zieht, eine noch nie da gewesene Macht über den Geld- und Tauschverkehr ausüben. In der Debatte um Auswege aus der Wirtschaftskrise überbieten sich renommierte Ökonomen durchwegs mit besorgniserregenden, weil ökonomisch kontraproduktiven und politisch bedenklichen Vorschlägen. So fordert Willem H. Buiter, Ökonom an der London School of Economics, in einem Beitrag für die angesehene Financial Times die Abschaffung des Papiergeldes. Als Begründung führt er an, dass dadurch die Zentralbanken die für die wirtschaftliche Belebung dringend notwendige Möglichkeit erhielten, den Nominalzins unter null zu drücken. Ohne Papiergeld wären die Bürger gezwungen, ausschließlich Kontoführungsguthaben bei den Banken zu halten, und diese Guthaben könnten ohne Probleme mit einem negativen Zins belastet werden. Diese durch und durch totalitäre Maßnahme verteidigt er explizit damit, dass der Nutzen des Papiergelds in der Begünstigung der Steuerflucht sowie in der Subventionierung des Schwarzmarktes und der globalen Terrornetzwerke läge. Nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Erwägungen wäre daher die Abschaffung des Papiergeldes äußerst vorteilhaft.

Dieser Vorschlag veranschaulicht die äußerst beängstigende Tendenz der letzten Jahre; die staatlichen Behörden sammeln immer mehr Daten über die sozioökonomische Lebenslage der Bürger. Der Zugriff des Staates auf das Vermögen der Bürger weitet sich unter der Rechtfertigung des Kampfes gegen den Terror aus. Das ohnehin schon durchlöcherte Bankgeheimnis wird weiter aufgeweicht und der Kampf gegen die Steueroasen wird mit allen Mitteln geführt.

Besonders die inflationäre Verwendung des Begriffs der „Steueroase" durch Politiker dies- und jenseits des Atlantiks ist äußerst aufschlussreich. „Wo eine Oase ist, muss rundherum Wüste sein." Besser hätte der Liechtensteiner Regent Fürst Hans-Adam II. den bedauerlichen politischen Zustand Europas nicht ans Tageslicht bringen können. Anstatt dass die Politiker ihren Beitrag dazu leisten, dass sich die vielfältigen Regionen Europas gemäß ihren Vorstellungen zum Vorteil aller entfalten können,92 setzen sich die gewissenlosen Politiker lieber ans Steuer der Planierraupe und bedecken auch noch die letzten verbliebenen Oasen in Europa mit Wüstensand. Der intellektuelle wie moralische Widerstand gegen derartige Eingriffe in das Privateigentum und das neiderfüllte Ausspielen von Bevölkerungsgruppen ist von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen gebrochen. In wenigen Jahrzehnten hat der Wohlfahrtsstaat den vom Christentum mühsam errungenen Wall gegen den Neid — 9. und 10. Gebot des Dekalogs — sturmreif geschossen.

Repressalien gegen willkürlich auserkorene Sündenböcke werden geschickt als berechtigte Vergeltungsmaßnahmen getarnt, um vom Staatsbankrott abzulenken. Derartige Maßnahmen haben eine lange Tradition. Die Christenverfolgung von Kaiser Nero zählt sicher zu den bekannteren Ablenkungsmanövern. 1390 füllte König Wenzel seine leere Staatskasse mit der sogenannten „Judenentschuldung", einer breit angelegten Enteignung. Landesverweise und Pogrome rundeten die eingesetzten politischen Gewaltmittel ab. In seinem Buch „Hitlers Volksstaat" weist Götz Aly mit Nachdruck auf die Kontinuität dieser menschenverachtenden Budget- und Entschuldungspolitik im 20. Jahrhundert hin: „Der Holocaust bleibt unverstanden, sofern er nicht als der konsequenteste Massenraubmord der modernen Geschichte analysiert wird." Mit Zwangsanleihen, drastischen Steuererhöhungen für einige Bevölkerungsschichten und Enteignungen wurde die Finanzierung der Aufrüstung und des Wohlfahrtsstaates für einige Zeit sichergestellt. Auf diese Weise entkam der von der Wirtschafts-, Sozial- und Aufrüstungspolitik der Nationalsozialisten geleerte deutsche Staatshaushalt über Jahre dem Bankrott. Und als die mit Zwangsanleihen „entschädigten" Juden als Gläubiger die Zahlungsfähigkeit des Reiches gefährdeten, „ermordeten die Deutschen diese Gläubiger in ihren Gaskammern".


*S. 200-206
Mit freundlicher Genehmigung des Resch Verlags

Zur Buchkritik

Seitenanfang