Buchkritik -- Peter Krištúfek -- Das Haus des tauben Mannes

Umschlagfoto, Buchkritik, Peter Krištúfek, Das Haus des tauben Mannes, InKulturA Als Adam Trnovský sich aufmacht, um sein Elternhaus in der slowakischen Kleinstadt Brězany aufzulösen, ahnt er nicht, dass die wenigen, noch im Haus verbliebenen Gegenstände in ihm eine Vergangenheit wieder auferstehen lassen, die, in wechselhaften politischen Gezeiten ablaufend, sowohl die Geschichte einer Familie im historischen Kontext als auch ein Panorama menschlichen Verhaltens angesichts sich verändernder ideologischer und gesellschaftlicher Bedingungen darstellt.

„Jede Uhr in diesem Haus zeigt eine andere Zeit.“ Dieser Satz des Autors Peter Krištúfek begleitet den Leser durch den über 500 Seiten umfassenden Roman, der, Adam erreicht das Haus zwei Tage bevor dessen Auflösung und Abriss stattfindet, erlebte Geschichte, Schicksale, Tragödien und das, was gern als Lauf der Zeit, als das scheinbar Normale und als Kontinuität des Seins bezeichnet wird, zu einem Bild auffächert, es jedoch gleichzeitig auch in Film ähnlichen Sequenzen komprimiert, die, diskrepant wie die Uhren im Elternhaus, die subjektiven Assoziationen bezüglich der Vergangenheit mit den objektiven, den real ablaufenden historischen Ereignissen, in Beziehung setzen.

Seine Erinnerungen spannen einen Bogen zwischen den 1930er bis zu den 1990er Jahren. Politische Umwälzungen, die nationalsozialistische und kommunistische Diktatur bemächtigen sich der Menschen und das in der Vorkriegszeit oberflächlich zu funktionieren scheinende Zusammenleben zwischen jüdischen, deutschen und tschechischen Bürgern, erweist sich durch die jeweils herrschende Ideologie als dünner Firnis, unter dem stets menschliche Abgründe lauern.

Nicht nur die Uhren im Elternhaus von Adam zeigen andere Zeiten, sondern die Uhren jeder Figur des Romans unterscheiden sich von denen der anderen. Für die Verfolgten, die Drangsalierten der politischen Systeme, auch Adams Vater gehört unter der kommunistischen Diktatur zu letzteren, gilt nach der Berührung, der Konfrontation mit der Macht ein anderer Takt, der durch Denunziation und Willkür stets Gefahr läuft, seine Schläge zu erhöhen.

Peter Krištúfek lässt Adams Erinnerungen Revue passieren, eher dokumentierend und selten wertend, doch immer mit einer Prise Sarkasmus daherkommend, und zeigt damit die konstante Ambiguität zwischenmenschlicher Beziehungen, die den wechselnden politischen Verhältnissen in der Tschechoslowakei geschuldet waren. Auch die Beziehung zwischen Adam und seinem Vater, die weitaus enger ist als die zur Mutter, wird im Lauf der Zeit Veränderungen, Neubewertungen und feinen Nuancierungen unterworfen, die mit dem Verlust des Gehörs des Vaters scheinbar ein Ende gefunden haben, jedoch während Adams letztem Aufenthalt im Elternhaus und den darin zurück gebliebenen Gegenständen erneut mit Macht in sein Bewusstsein dringen.

Auch die Bewertungen, die Neujustierungen von Beziehungen zu Verwandten und Freunden wird, das stellt Adam nach dem Fall des Kommunismus und der Öffnung der Archive der Staatssicherheit fest, zu einer Gratwanderung auf der Klaviatur menschlichen Miteinanders, denn auch wenn ihm durch die Lektüre der Berichte Verhaltensweisen in der Vergangenheit jetzt sukzessive klar werden, wirft die Geschichte doch immer noch ihre Schatten bis in die Gegenwart und so mancher Scherge des untergegangenes Systems hat es sich aufgrund guter Kontakte auch in der neuen Demokratie gemütlich gemacht, ist in der Politik oder als Geschäftsmann erfolgreich.

„Das Haus des tauben Mannes“ ist sowohl ein Roman und eine Familiengeschichte als auch das historische Portrait eines Landes, dessen Bürger unter den grausamen und entmenschlichenden Diktaturen des 20. Jahrhunderts gelitten haben und trotzdem, oder gerade deshalb ihre ganz persönliche Überlebensstrategie entwerfen mussten.




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Veröffentlicht am 17. Februaar 2020