Buchkritik -- Pankaj Mishra -- Das Zeitalter des Zorn

Umschlagfoto, Buchkritik, Pankaj Mishra, Das Zeitalter des Zorn, InKulturA Das Elitenprojekt Globalisierung ist die logische Folge eines Neoliberalismus, der, wie Pankaj Mishra ihn historisch verortet, seine Wurzeln im ausgehenden 18. Jahrhundert hat. Dort beginnt auch seine, wie der Untertitel des Buches es ausdrückt, "Geschichte der Gegenwart", die, so der Autor, seitdem eine Auseinandersetzung zwischen denen, die an diesem Projekt der wirtschaftlichen und finanziellen Avantgarde profitieren und denen, Mishra hat hier Nietzsche und dessen Gedanken des Ressentiments als Movens der "zu kurz Gekommenen" aufgegriffen, die sich vom Versprechen nach Prosperität und politischer Partizipation enttäuscht sehen und sich mehr oder weniger für überflüssig halten und von den agierenden Eliten als zu vernachlässigende Größe gesehen werden.

Die Aufklärung mit ihrem Postulat des Verstandes als Kraft des Fortschritts, in deren Verlauf das Individuum seine mittelalterlichen Fesseln des Intellekts abstreifen sollte und die Welt nicht mehr nach den Vorstellungen der Religion oder von Gott legitimierten Monarchen zu betrachten, sondern als ein nach den eigenen rationalen Regeln zu formendes Objekt. Pankaj Mishra lässt mit Voltaire, dem großen Spötter und wortgewandten Parvenü, dem finanzieller Erfolg und der gesellschaftliche Aufstieg beschieden waren, und Rousseau, dem ungelenken Choleriker, dem es zeit seines Lebens nach gesellschaftlicher Akzeptanz verlangte, diese jedoch nie erhielt, die beiden Antipoden auf der historischen Bühne erscheinen, die fortan über materiellen Erfolg oder Außenseitertum entschied: die, wie es modern heißt, Kräfte des Marktes.

Mishra erzählt die Geschichte der Abgehängten, der Verweigerer und "zu kurz Gekommenen", die sich, und das ist die nicht immer stimmige Konstante in diesem Buch, nicht selten als militante Kritiker des Bestehenden erweisen. Sein Panoptikum der, hier übernimmt er einen Terminus von Gunnar Heinsohn, zornigen jungen Männer, reicht von der spezifisch deutschen Romantik, die direkt, der Autor sieht zu Recht eine Verbindung zwischen der fehlenden deutschen Nation und dem daraus resultierenden fatalen Hang zu einem übersteigerten Nationalismus, der mangels politischer Macht sein Wirken auf geistig-kultureller Ebene suchte und zum deutschen Wesen führte, an dem die Welt "genesen sollte", zum Deutschen Idealismus und dessen philosophische und politische Konsequenz, wie Ernst Nolte ihn bezeichnete, den "Europäischen Bürgerkrieg", führte.

Die Mechanismen des Ressentiments, des Zorns der vermeintlich "zu kurz Gekommenen" haben eine historische Konstante. Eine Minderheit erklärt sich zu Vertretern einer besseren, gerechteren und sozialeren Welt, diffamiert die in der Regel wohlhabende, auf alle Fälle die Macht besitzende Klasse als parasitär, ausbeutend, unsozial und menschenverachtend und ist bereit, zur Erreichung ihrer Ziele auch Gewalt anzuwenden.

Mishra sieht deutlich, dass die Rebellen, Anarchisten oder Aufständischen, wie immer sie sich auch nennen, dabei, ob bewusst sei dahingestellt, mimetisch agieren und Posen, Attitüden und Mechanismen ihrer Gegner übernehmen. Das erklärt auch, warum aus "nach einer Revolution" immer ein "vor einer Revolution" wird.

Ein zentraler Begriff ist für den Autor der Nationalismus, dessen sich die Revolte in der Regel bedient. Er fungiert sowohl als Abgrenzung als auch als Stigmatisierung von Minderheiten, in deren Verantwortung scheinbar eine wie auch immer sich artikulierende Krise steht. Das dieser Mechanismus funktioniert, bewies auf erschreckende Weise der Holocaust.

Zornige junge Männer, die sich abgehängt von materiellem Erfolg, politisch nicht beachtet und sexuell unterfordert, sind und waren, so das Fazit aus Mishras groß angelegtem historischen Exkurs, eine gefährliche Gruppe, in der jederzeit die Bereitschaft besteht, einer Ideologie, einer Religion, einem charismatischen Anführer oder einfach nur der Lust angewandter Brutalität zu folgen.

Gerade in einer Welt, die wie die unsere globalen Wohlstand, politische Freiheit und die Wahrung der Rechte es Individuums verspricht, sind die meisten davon ausgenommen und betrachten sich als Opfer einer kleptokratischen Elite, die zu den Gewinnern der Globalisierung gehört.

Zu allen Zeiten gab es Verführer, die sich der Ressentiments bedient haben, um ihre eigenen, vermeintlich hehren politischen Ziele zu erreichen und zu allen Zeiten gab es Menschen, die ihnen bereitwillig gefolgt sind. Nicht zuletzt befeuert das Internet mit seinen sozialen Medien den zunehmenden Widerspruch zwischen Verheißungen und den daraus resultierenden Ansprüchen gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen. Und die sind, wie Pankaj Mishra es vollkommen richtig sieht, eine Konstante im Zeitalter des Zorns.

Walter Sedlmayr war, wie die Neue Zürcher Zeitung 1996 schrieb, "Der Repräsentant des Zweifels an der Moderne und Aufklärung" und begründete diesen in seinem 1953 erschienenem Buch "Der Verlust der Mitte". Das, was dieser Autor, so der Untertitel seines Werkes für "Die bildende Kunst des 19. und 20.Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit“ konstatierte, das hat mit Pankaj Mishras "Geschichte der Gegenwart" endlich ein Pendant in Bezug politischer Ideen und ihrer, seit dem 18. Jahrhundert stattfindenden Extreme gefunden.




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Veröffentlicht am 13. Oktober 2017