Buchkritik -- Gerald Messadié -- Ein Mann namens Sokrates

Umschlagfoto  -- Gerald Messadié  --  Ein Mann namens Sokrates Das 5. vorchristliche Jahrhundert war in Griechenland eine Blüte von Philosophie und Wissenschaft. Das Zeitalter des Perikles war ein letzter Höhepunkt vor den Wirren des Kriegs und Untergangs. In dieser Epoche lebten innerhalb weniger Jahrzehnte Philosophen wie Anaxagoras, Protagoras, Diogenes und Zenon. Künstler wie Phidias, Euripides, Sophokles, Aristophanes und Historiker wie Thukydides und Xenophon. Dieses Liste wäre beliebig fortzusetzen. Sie alle sind auch in unserer Zeit nicht dem Vergessen anheim gefallen. Diese Periode der griechischen Geschichte ist der Hintergrund des Romans von Gerald Messadié. Sein Titelheld ist Ein Mann namens Sokrates.

Ein Verbrechen in Athen zieht politische Wirren nach sich und dessen Aufklärung soll auch philosophische Nachwirkungen haben. Messadié zeigt dem Leser die Athener Gesellschaft, die Reichen und Mächtigen, aber auch die Besitz- und Rechtlosen dieser Stadt. Sokrates, einer der Ratgeber des Perikles, muß mitansehen, wie die Demokratie durch die Anhänger der Oligarchie zerstört wird. Sein Schüler (und Geliebter) Alkibiades verrät Athen und läuft zum Erzfeind Sparta über.

Der Leser hat einen Roman vor sich, der genau und eindrucksvoll das Verhältnis zwischen Philosophie und Politik schildert. Wir sehen Sokrates als eine Mann voller Ehre und Idealen. Sein Ziel und Lebenszweck ist es, auch in der täglichen Politik philosophische Maßstäbe anzuwenden. In diesem Werk hat er so gar nichts gemein mit dem sauertöpfischen Besserwisser, wie er in vielen Philosophiegeschichten beschrieben wird. Sein Bestreben gilt hier dem Wohl seiner Heimatstadt Athen. Zu seiner Betrübnis muß er jedoch sehen, wie seine Ideale verraten werden und eine Zeit der Wirren beginnt.

Sokrates, von dem uns nur durch die Dialoge des Platon etwas von seiner Philosophie bekannt ist, war ein Mann des Dialogs. Er war bestrebt die Menschen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszuführen. So wie er sich selber permanent in Frage stellte, so stellte er auch Herrschaft und Politik in Frage. Sein Ideal war das von aller Verblendung befreite Individuum. Sein Fehler war, die Fähigkeit der Menschen dazu zu überschätzen. Anstelle Gemeinnutz stand und steht Egoismus, anstelle Einsicht steht individuelle Borniertheit. Der Philosoph Sokrates war seiner und auch unserer Zeit zu weit voraus. Der Mensch Sokrates war deshalb zum Scheitern verurteilt.

Der Autor zeigt dem Leser diese Diskrepanz zwischen Ideal und Realität. Egoismus triumphiert über die Interessen des Gemeinwohls. Politische Ideen werden verraten und die meisten Athener Bürger halten ihr Mäntelchen in den Wind. Ist es nur ein historischen Roman, oder zeigt er uns einen Blick in den Spiegel? Das Verhältnis zwischen Ideal und Realität ist, ja muß immer gespalten sein. Philosophische Euphorie geht immer zusammen mit politischer Enttäuschung und umgekehrt. Aus ehemaligen Weggefährten werden Feinde und nur die Mittelmäßigkeit überlebt immer.

Sokrates, der in einer Gerichtsfarce zum Tod verurteilt wird, hat seinen Mut und seine Energie längst verloren. Das Todesurteil ist in Wirklichkeit ein geplanter Selbstmord. Messadié zeigt das Scheitern jeglicher Philosophie im Angesicht der menschlichen Schwäche.




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