Buchkritik -- Andreas Döring -- Mataruas Vermächtnis

Umschlagfoto  -- Andreas Döring  --  Mataruas Vermächtnis "Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen." Dieser, durch die Sucht nach belanglosen Plappereien auf Twitter oder Facebook bisweilen desavouierte Satz, erfährt durch das Reisetagebuch von Andreas Döring eine neue und wunderbare Wiederentdeckung. In seinem Buch Mataruas Vermächtnis erzählt er eine, geschickt auf drei Ebenen miteinander verwobene Geschichte, die sich im Kern um das große Thema der ewigen Wanderschaft des Individuums bewegt.

Eine Auszeit von den alltäglichen Herausforderungen, die sich in der Regel wie ein matter Firnis über die Sehnsüchte und Träume legen, nehmend, nimmt der Autor einen Job als "Märchenonkel", eine Art literarischer Reiseleiter, auf einem Kreuzfahrtschiff der oberen Preiskategorie an. Sein dortiger Arbeitsalltag besteht darin, finanziell und anderweitig saturierten Menschen auf den "Expeditionsreisen" die Südseeerfahrungen berühmter Autoren zu vermitteln. Als "Literaturfuzzi" (Selbstaussage des Autors) ist es seine Aufgabe, den "Expeditionsteilnehmern" vor Ort zu ermöglichen den Schilderungen von Reiseautoren und Schriftstellern nachzuspüren und auf deren Spuren zu wandeln. Dass es dabei gelegentlich zu einigen Diskrepanzen bezüglich literarischer Fiktion und Realität kommen muss, ist evident.

So besteht der erste Teil von Dörings Reisebeschreibungen dann auch in den Schilderungen des menschlichen, manchmal leider allzu menschlichen Verhaltens von Touristen, die, ungeachtet ihres finanziellen Hintergrunds oder ihres Bildungsniveaus eines gemeinsam haben, die Unerträglichkeit derjenigen, die sich in dem Glauben wiegen, durch den geleisteten Reisebetrag das Recht auf schlechtes Benehmen erkauft zu haben.

Jeder, der einmal selber in der Tourismusbranche beschäftigt war, wird den Bemerkungen des Autors über das manchmal schier irrsinnige Verhalten von Pauschaltouristen - auch die Teilnehmer sog. exklusiver "Expeditionskreuzfahrten" fallen in diese Kategorie - mit lachender Zustimmung folgen. Denjenigen Lesern, die sich in der Rolle des "ewigen Touristen" befinden, hält Andreas Döring einen Spiegel vor das Gesicht, in dem sich viele wiedererkennen dürften. Anscheinend ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Menschen, die ansonsten mit Intelligenz und Eigenverantwortung ausgestattet sind, während einer Reise in den Zustand des Infantilen zurückfallen.

Allein dieser erste Teil von Mataruas Vermächtnis ist die Lektüre wert. Und doch benutzt ihn Andreas Döring nur als eine groß angelegte Einführung in eine andere Art des Reisens. Abseits vom Massentourismus, der sich gern hinter dem Motto "Land und Leute kennenlernen" versteckt und der doch in Wirklichkeit nur ein Kulissenwechsel ohne Änderung des Drehbuchs darstellt, der ebenso in den allermeisten Fällen eine Flucht vor dem heimischen Regen und der Tristesse des bürgerlichen Alltags ist, erzählt der Autor von den Problemen, aber auch von den Möglichkeiten, die durch kulturelle Differenzen entstehen.

Weit entfernt von den gängigen Klischees, die gern vom boomenden Fernreise- und Kreuzfahrttourismus in deren Hochglanzbroschüren verkauft werden, verbergen sich kulturelle Unterschiede, von denen der Pauschaltourist in der Regel nichts erfährt, auch gar nicht erfahren will. So kommt Andreas Döring zu dem für viele vielleicht ernüchternden Resultat, dass es keine kulturelle Wahrheit, sondern nur viele verschiedene Zustände gibt.

Wer sich den Ausführungen des Autors, die sich spielerisch zwischen Fiktion und Realität bewegen folgt, dem wird klar, wie viel Hybris in der, alle kulturellen Unterschiede nivellierenden Politik der "westlichen Werte" liegt. Für viele sog. Errungenschaften der Moderne hat man auf den von Döring besuchten Südseeinseln bestenfalls ein mitleidsvolles Lächeln, in der Regel jedoch nur Unverständnis übrig.

Diese Erfahrung, die der stets hellwache Reiseautor immer wieder macht, unterstreicht einmal mehr die Tatsache, dass jede Reise zu sich selber führt und man am Ende immer genau das vorfindet, was man bereits bei Beginn mit sich getragen hat. So schließt sich dann auch im dritten Teil der Kreis und dem Autor gelingt es, ein lange zurückliegendes und vergessen geglaubtes Erlebnis zu verarbeiten.

Durch den Kontakt mit anderen Kulturen und deren spirituellem Verständnis gelingt es ihm, die eigenen traumatischen Blockaden zu durchbrechen und die engen Grenzen des geistigen Horizonts zu erweitern. Mataruas Vermächtnis ist die überaus gelungene Darstellung der Odyssee eines modern-westlich sozialisierten Menschen an deren Ende nicht nur die Aufarbeitung eines individuellen Traumas steht, sondern auch das Wissen um das Positive kultureller Verschiedenheit.

Andreas Döring hat einen Reiseroman geschrieben, der wohl weitaus weniger Fiktion beinhaltet, als es im Klappentext beschrieben wird. Mataruas Vermächtnis ist eine Hommage an alle wirklich Reisenden und Suchenden dieser Welt.




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