Buchkritik -- Peter Strasser -- Lust

Umschlagfoto, Peter Strasser, Lust, InKulturA Es ist eine Last mit der Lust, zumindest wenn sie im Gewand von Erfüllungsverheißungen moderner Konsumverführungsversprechen daherkommt. Je mehr Lust, desto besser wird angeblich unser Leben. Nackte Tatsachen allerorten. Werbeplakate, Zeitschriftencover und Boulevardblätter, überall ist der mechanisierte Lustangriff präsent.

Wir leiden nicht an einem zuwenig an Lust, sondern, Peter Strasser bringt es in seinem Buch "Lust" auf den Punkt, an einem zuviel nacktfleischbezogener Reizerzeugung der Sinne, dergestalt, dass es laut heutigem Verständnis der freien Entfaltung des Individuums schon fast als Perversion gilt, sich diesem Frontalangriff sexueller Stimulation zu entziehen und für eine Beruhigung der Sinne zu plädieren.

Nun könnte man meinen, dass, sollte sich ein Autor für diese Art Reizentzug stark machen, dabei ein moralinsaures Tugendbüchlein herauskommt, das, wie die "Anstandsratgeber" des 19. Jahrhunderts, die Lust und den Spaß am geschlecherübergreifenden Miteinander am liebsten in die Schmuddelecke stellen würde.

Weit gefehlt! Das "Anstandsbuch", so der launige Untertitel, will nicht die Lust, die das Leben doch erst wirklich lebenswert macht, abschaffen, sondern wieder dorthin zurückführen, wo sie eigentlich hingehört - ins Private. Augenzwinkernd plädiert der Autor, quasi als sofortige Notmaßnahme, für die Rückbesinnung auf Sitte und Anstand, als deren Voraussetzung die strikte Beachtung des monogamen Geschlechtsverkehrs gilt.

Dank, oder doch leider?, der modernen Wissenschaft ist es gelungen, die operativ-aktive Lustausübung, zumindest bei dem männlichen Teil unserer Spezies, bis ins hohe Alter zu ermöglichen. Viagra, das Schlüsselwort für die stramm gewordene Selbstverwirklichung libidinösen Begehrens, führt dann auch zu manchen verbal-stilistisch eher peinlichen Ausrutschern alt gewordener Jungmänner, die es in Seniorenresidenzen und anderen geselligen Zirkeln noch einmal so richtig krachen lassen wollen.

Dabei, machen wir uns nichts vor, ist es eine der Tragikömödien des modernen Menschen, oversexed, aber underfucked zu sein. Weit davon entfernt, die Pseudogarantien der Marketingverschwörungen in die Realität umsetzen zu können, fristen wir ein Leben in permanenter Reizerfüllungshoffnung.

Die Augen sind eben manchmal größer als der Magen oder, wie in diesem Fall, die Lusterfüllung.




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Veröffentlicht am 06. Februar 2015