Buchkritik -- Manal al-Sharif -- Losfahren

Umschlagfoto, Buchkritik, Manal al-Sharif, Losfahren, InKulturA "Die friedlichste Phase meiner Kindheit erlebte ich im Krieg." Ein Satz, der unter die Haut geht. Geschrieben hat ihn Manal al-Sharif, die in ihrem Buch die Vorgeschichte, den Tabubruch und die Reaktion des offiziellen Saudi-Arabiens erzählt. Die Reaktion worauf? Auf ein für westliche Leser selbstverständliches Handeln - eine Frau fährt Auto. In Saudi-Arabien, dessen Ölstrom die westliche Welt am Laufen hält, beileibe nichts weniger als selbstverständlich, sondern als westliche Dekadenz gebrandmarkt und, wie viele Dinge, den Frauen verboten.

Obwohl, wie die Autorin schreibt, es in der saudischen Straßenverkehrsordnung nicht explizit verboten ist, als Frau ein Auto zu fahren, wacht die Religionspolizei, die das öffentliche Leben kontrolliert und ein Instrument gesellschaftlicher Unterdrückung im Namen des Islam darstellt, darüber, dass die "Sitten" eingehalten werden und Frauen allenfalls auf der Rückbank eines Wagens sitzen dürfen.

"Losfahren" ist die Geschichte einer jungen Frau, die sich aus den Zwängen eines rigiden Systems befreit und gegen Bevormundung, religiöse Konventionen und der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frau zur Wehr setzt. Zuvor jedoch durchlebt sie eine, in islamisch geprägten Gesellschaften, typische Kinder- und Jugendzeit. Dazu gehört ebenso familiäre Gewalt wie auch die Verbannung der jungen Frauen aus der Öffentlichkeit durch den Zwang zum Tragen eines Hidschab.

Es ist eine Welt, in der Männer alles dürfen, Frauen dagegen fast gar nichts. So braucht eine Frau, will sie amtliche Dinge erledigen, immer einen Mann, einen Fürsprecher ihrer Angelegenheiten. Unprätentiös erzählt Manal al-Sharif von dieser - saudi-arabischen - Welt, in der die Wege der Geschlechter gesellschaftlich vorgeschrieben sind und Frauen stets eine dem Mann und dem System untergeordnete Rolle zu spielen haben.

Das repressive Moment einer religiös dominierten Gesellschaft frisst sich gnadenlos in die Menschen und so ist es kein Wunder, dass die Autorin von klein auf mit den Auswüchsen einer rigiden Ordnung konfrontiert wird, die aus Menschen Marionetten macht, die vor allem eines nicht wollen: in Konflikt mit der schier allmächtigen und omnipräsenten Religionspolizei geraten.

Doch Manal al-Sharif ist eine der wenigen Frauen, denen es gelingt, aus dem aufoktroyierten circulus vitiosus auszubrechen. Sie, die in der Schule stets Bestleistungen vorwies, darf in den USA studieren, erwirbt dort den Führerschein und findet im Anschluss in Saudi-Arabien einen Job. Beim Öl-Konzern Aramco war sie die erste saudische Frau, die als IT-Expertin für Datensicherheit angestellt wurde.

Obwohl sie dort, Aramco ist im Prinzip eine Enklave auf saudi-arabischen Territorium mit eigenen Regeln und Protokollen, gemeinsam mit Männern arbeitete und einen, im Vergleich mit dem "normalen" gesellschaftlichen Leben, lockeren Umgang mit ihren Kollegen und Kolleginnen hatte, lauerte trotzdem unter der Oberfläche stets die Doppelmoral der männlichen Ehrvorstellungen.

Es gehört viel Mut dazu, sich, wie Manal al-Sharif es tat, gegen ein rigides System zu stellen, dass schnell mit drakonischen Strafen bei der Hand ist, wenn gegen die "Moral" verstoßen wird. Dessen Antwort auf das "sittenlose" Verhalten als Frau ein Auto zu fahren, bestand dann auch in einer Untersuchungshaft, die durch ihre Härte den Selbsterhaltungstrieb dieser außergewöhnlichen Frau auf eine harte Probe stellte.

"Losfahren" ist, obwohl von der Autorin nicht explizit formuliert, auch eine Aufforderung, die Position mancher Feministinnen, der Hidschab sei ein Symbol weiblicher Befreiung, kritisch zu reflektieren.




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Veröffentlicht am 16. September 2017