Buchkritik -- Lyonel Trouillot -- Thérèse in tausend Stücken

Umschlagfoto, Buchkritik, Lyonel Trouillot, Thérèse in tausend Stücken , InKulturA Wenn erstarrtes Leben sich endlich wehrt, dann gleicht der Ausbruch einer unkontrollierten Explosion, die alle Konventionen und Sitten, jegliches bürgerliches Verhalten und dessen bigotte Moral als Lügen entlarvt, die einzig dem Aufrechterhalten des Status quo dienen. Thérèse, angepasst, gehorsame Tochter und brave Ehefrau wird, knapp 26-jährig, mit ihren tief liegenden, lange unter gesellschaftlicher Kontrolle stehenden Bedürfnissen, Wünschen und sexuellen Begierden konfrontiert.

Was für ihre Alters- und Geschlechtsgenossinnen wohl eine Katastrophe wäre, ist für sie ein Akt der Befreiung, der ihr gleichzeitig die Verlogenheit und die Erstarrung der sie umgebenden Menschen aufzeigt. Lyonel Trouillot erzählt von der Entwicklung einer jungen Frau, die unter dem Stillstand und der Apathie der Gesellschaft leidet und die gegen alle Widerstände ihren eigenen Weg finden will.

Unter der Oberfläche einer scheinbar wohlgeordneten Welt, in der jeder seinen Platz und seine ihm bestimmte Stufe in der Hierarchie einnimmt, taucht allmählich das restriktive Moment des sozialen Festgelegtseins auf, das nur durch die individuelle Überschreitung der Normen überwunden werden kann. Trouillot gelingt es, seiner Figur den dazu notwendigen Elan, die Kraft und die Fähigkeit zur Demaskierung des Bestehenden zu verleihen.

Der haitianische Autor lässt den Leser daran teilhaben, wie er mit fast wollüstiger Intensität nach und nach die dünne Oberfläche bürgerlicher Fassade als Illusion demaskiert, denn hinter dem Schein der guten Gesellschaft verbirgt sich in Wahrheit die Monstrosität des Gewöhnlichen, perpetuiert als ein Lebensstil, der auf Betrug, Gewalt und Lügen gegründet ist.

"Thérèse in tausend Stücken" erschien bereits im Jahr 2000 und liegt jetzt endlich in deutscher Übersetzung vor.




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Veröffentlicht am 12. September 2017