Buchkritik -- Gottfried Küenzlen -- Die Wiederkehr der Religion

Umschlagfoto  -- Gottfried Küenzlen  --  Die Wiederkehr der Religion Die Geschichte Europas, bzw. die politische Entwicklung der europäischen Staaten, läßt sich ohne die Säkularisierung nicht richtig bewerten. Die Trennung von Kirche und Staat war einer Gründe für den weltpolitischen Erfolg der europäischen Nationen. Wissenschaft und Kunst, politische Ideen und soziale Reformen erwuchsen aus der Erkenntnis, daß der Mensch ein primär für sich und seine Welt verantwortliches Wesen ist und weder der Hilfe noch des Beistands einer wie auch immer gearteten Religion bedarf. So kommt z. B. der Verfassungsentwurf der Europäischen Union ohne einen Gottesbezug daher. In hohen politischen Funktionen und im alltagspolitischen Mainstream ist man sich sicher, daß dies ein für alle gangbarer Weg in die gemeinsame europäische Zukunft darstellt.
Gottfried Küenzlen beschreibt genau diesen Zustand der säkularen, europäischen Moderne in seinem Buch Die Wiederkehr der Religion. Während, nicht zu übersehen, weltweit der Einfluß der Religionen zunimmt und sie einen immer stärker werdenden Einfluß auf die Politik der jeweiligen Länder ausüben, wähnt man sich im Europa der 21. Jahrhunderts über diese Entwicklung erhaben, ja scheint sie noch nicht einmal wahrnehmen zu wollen. Zu sehr scheint sich die politische Elite Gesamteuropas der universellen Richtigkeit und Unfehlbarkeit ihrer politischen Botschaft sicher zu sein. Religion tritt in der öffentlichen Wahrnehmung allenfalls noch als Randgruppenphänomen ins Bewußtsein.
An die Stelle er- und gelebter Religion tritt die eklektizistische Beliebigkeit einer europäischen New Age-Bewegung. Dazu vollkommen konträr, feiert weltweit die Besinnung auf die jeweils eigenen religiösen Wurzeln einen beachtlichen Aufschwung. Ob Islam, Hinduismus oder Buddhismus, die großen Weltreligionen stehen nicht nur vor ihrer Rückkehr, sondern sind schon fest im politischen Bewußtsein ihrer Nationen angekommen. Der säkulare Staat europäischer Prägung scheint in der Tat kein besonders attraktives politisches Ziel mehr zu sein.
Der Autor weist mit Recht auf die daraus resultierenden Probleme, die schon jetzt nicht nur am Horizont auftauchen, sondern ihre Schatten bereits auf die europäischen Staaten werfen, hin. Islamischer Fundamentalismus, auch wenn über die richtige Definition dessen was denn Fundamentalismus eigentlich darstellt noch gestritten wird, bedroht ein von seinen religiösen Wurzeln getrenntes Europa. Auf die neuen, daraus resultierenden Fragen und Probleme, hat niemand, so Küenzlen, eine Antwort. Europas selbstgewähltes Schicksal ist es, die christliche Heilsbotschaft durch das trügerische Versprechen einer besseren, durch Menschenhand geschaffenen Zukunft zu ersetzen. Die letzte Stufe des säkularisierten Menschen besteht darin, nachdem die politischen Ideologien dies auch durch lange Kriege nicht vermocht haben, mit Hilfe der Gentechnik ein seligmachendes Glück zu verheißen. Keine Krankheiten mehr, Menschen nach Maß, den Tod immer weiter hinausschiebend, verspricht die wissenschaftliche Avantgarde das Endglück.
Europa steht ohne Frage an einem Scheideweg. Ohne aber seine Herkunftsreligion, die einst den Erfolg der europäischen Staaten begründete, zu bejahen, steht ein vereinigtes Europa den kommenden Herausforderungen denkbar schlecht gerüstet gegenüber. Gottfried Küenzlen macht eine Bestandsaufnahme des geistig-kulturellen Zustands einer bis zum äußersten säkularisierten Gesellschaft. Ob sie die anstehen Herausforderungen bewältigen kann, scheint zumindest in der aktuellen Zeit und unter den heutigen politischen und religiösen Bedingungen fraglich zu sein.




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