Buchkritik -- Ralph Dohrmann -- Kronhardt

Umschlagfoto, Ralph Dohrmann, Kronhardt , InKulturA Willem Kronhardt, der letzte Erbe einer Familie, die in Bremen und über Bremen hinaus für die Produktion von hochwertigen Stickereien bekannt ist, ist ein Wanderer zwischen zwei Welten, von denen er keiner richtig angehören wird. Sein Elternhaus und seine Erziehung, beides geprägt von der strengen Mutter, die dem geschäftlichen und gesellschaftlichen Erfolg alles opfert, wird für Willem mehr und mehr zu einem, seine individuelle Entwicklung bedrohenden Käfig, dem er schon in jungen Jahren versucht, sich zu entziehen. Sein eigentliches Interesse gilt der Naturwissenschaft, der er sich jedoch in Anbetracht der an ihn gestellten Forderungen bezüglich des Firmenerbes nicht in angemessenem Rahmen widmen kann.

"Kronhardt" aus der Feder von Ralph Dohrmann ist trotzdem mehr als die Geschichte einer Bremer Unternehmerfamilie. Der opulente Roman erzählt auf manchmal eigenwillige Weise auch von der Entwicklung, die die beiden deutschen Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gemacht haben.

Willem reift zu einem Mann, der immer zwischen zwei Frauen steht. Auf der einen Seite seine ihm herz- und emotionslos erscheinende Mutter, auf der anderen Seite, seine Frau, deren Bekanntschaft er ironischerweise ebenfalls durch den Einfluss seiner Mutter gemacht hat. Er teilt sein Leben bewusst zwischen dem Familienerbe und seinen privaten Interessen, wohl wissend, dass er es eigentlich den Frauen verdankt, dass er materiell abgesichert ist und seinen Neigungen und auch seinem Müßiggang folgen kann.

Dohrmann widmet den ersten und umfangreichsten Teil seines Romans der Familiengeschichte und dem Erwachsenwerden Willems. Er ist kein typischer Held, sondern vielmehr ein introvertierte Einzelkind, dessen Passivität nur vordergründig erscheint, die jedoch für ihn ein sich immer mehr bewährendes Hilfsmittel darstellt, um sich der Inanspruchnahme der Gesellschaft zu verweigern.

Willem wird zum Spötter des spießigen Lebensstils derjenigen, die sich für die Stützen der noch jungen Bundesrepublik halten und gleitet, nicht unbedingt widerwillig, in die Rolle eines zwar gebildeten, aber kauzigen Einzelgängers.

Die Natur, in die sich Willem oft zurückzieht, ist dann auch eine im Roman immer wiederkehrende Metapher für das Wirkliche, das Bleibende, dass immer Beständige im Leben Willems. Der Tod seines Vaters, im dritten Teil des Romans endgültig aufgeklärt, bleibt eine Wunde in der Psyche Willems, zumal seine Mutter alles unternimmt, um ihn davon abzuhalten, den Neigungen und Vorlieben seines Vaters zu folgen. Fast zerbricht der junge Kronhardt am Wirken seiner Mutter, doch er lernt früh, sich deren Machtansprüchen zu entziehen.

Ralph Dohrmann hat einen Roman geschrieben, dessen Diktion dem Leser anfänglich einiges abverlangt. Der Erzählrhythmus ist langsam, manche Naturbeschreibungen benötigen mehrere Seiten und die Schilderung der persönliche Entwicklung Willems erfordert manchmal vom Leser einige Geduld. Doch wer sich auf diesen Roman und sein ihm eigenes Tempo einlässt, der wird mit einem großartig komponierten Roman und einer komplexen und gut erzählten Geschichte belohnt.

Wo viel Licht ist, ist leider auch etwas Schatten. Der Autor knüpft viele Handlungsfäden zusammen, von denen einige im weiteren Verlauf leider wieder verschwinden. Willems Schulkamerad Schlosser taucht mach seinem Umzug nach Berlin nicht mehr auf. Das ist Schade, denn er war gut angelegt als aktiver Gegenentwurf zum passiven Willem. Auch der terroristische Anschlag auf eine ehemalige, zugegeben unsympathische Klassenkameradin Willems bleibt im Kontext eigenartig unzusammenhängend. Ebenfalls täte der Leser gut daran, die Figur des von Wrangel, die phantomgleich durch die Zeit und die jeweiligen politischen Systeme des 20. Jahrhundert mäandert, als Typus und nicht als Person zu betrachten, ansonsten droht aus einem wirklich guten Beispiel deutscher Literatur doch eher ein politischer Schauerroman zu werden.




Meine Bewertung:Bewertung