Buchkritik -- Kapka Kassabova -- Die letzte Grenze

Umschlagfoto, Buchkritik, Kapka Kassabova, Die letzte Grenze, InKulturA Thrakien, der Name ruft Assoziationen von Sandalenfilmen italienischer Produktion hervor. Geölte Männerkörper, in den Händen Schwerter, kämpfen gegen böse Tyrannen und um schöne Frauen. Am Ende siegen immer die Guten und machen sich mit ihrer verdienten Beute, Frauen, Gold oder Macht, daran, vielleicht einmal so zu enden wie die von ihnen im Film besiegten Feinde. Der Zuschauer muss sich auf seine Phantasie verlassen.

Thrakien, verlassen wir die längst vergangene Opulenz gut ausgestatteter Vorstadtkinos mit deren für uns Heranwachsende stets verlockenden Nachmittagsfilmen, ist eine Region am Rande Europas. Über drei Staaten, Griechenland, Bulgarien und die Türkei, zieht sich diese Landschaft, die wie keine andere in Europa die Wechselfälle der Geschichte zu spüren und zu erleiden bekam. Hier trafen die Nationalismen des 19.- und 20. Jahrhunderts aufeinander. Hier begegneten sich, selten friedlich, Islam und Christentum und hier tobte, offiziell der bis zum Jahr 1989, in Wirklichkeit jedoch in den Erinnerungen der hier lebenden Menschen bis heute, stattfindende Kalte Krieg. Auch die Menschen, die an der „verdunkelte(n), bewaldete(n) Berliner Mauer“ auf der Flucht vor dem Kommunismus ihr Leben verloren, die Toten, sprechen durch die Erinnerungen noch lebender Zeitzeugen immer wieder mit denen, die zuhören und verstehen wollen.

„Ebenso wie der kommunistische bulgarische Staat vom Wahn besessen gewesen war, die Pomaken [bulgarischsprachige muslimische Minderheit] seien eine fünfte Kolonne der Türkei und des Orientalismus, war der griechische Staat der Paranoia unterlegen, die Pomaken seien die fünfte Kolonne Bulgariens und des Kommunismus. Als Reflex auf die Paranoia jedes Staates wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Namen bulgarischer Pomaken slawisiert (also deislamisiert), während die Namen griechischer Pomaken türkisiert (also deslawisiert) wurden. Kann jemand folgen? Genau. Hellenisiert und slawisiert, exotisiert und dämonisiert, homogenisiert und revidiert von Nord und Süd,...“, so bringt es Kapka Kassabova in ihrem Buch „Die letzte Grenze“ auf den Punkt.

Die Autorin, 1973 in Sofia geboren und heute in Schottland lebend, berichtet darin von der Reise zurück in ihre ehemalige Heimat und den vielen Wunden, die die Geschichte, der Wahnsinn der Ideologien und die Ohnmacht der Betroffenen gegenüber Willkür, Terror und Diktaturen geschlagen haben. Es sind aber auch Beschreibungen von kleinen Wundern oder der großen Liebe, die diesen Band durchziehen.

Die wechselvolle politische Entwicklung spiegelt sich im Leben der Erzählenden wider. Nicht selten mussten diese mehrmals die Grenzen überqueren und ein neues Leben anfangen, weil es Religion und Ideologie stets gefallen hat, Menschen als Manövriermasse zu benutzen. Es sind durch die wechselhaften Umstände geprägte Charaktere, denen Kassabova begegnet und deren Erinnerungen stets im Kontext zwischen Geschichte und Mythos angesiedelt sind.

Zeit und Raum überschreitend, Antike und Moderne verbunden durch Mythen von wunder- und kostbaren Schätzen, immer reflektierend auf eine Vergangenheit, die mehr ist als nur chronologische Abfolge, verdichtet Kapka Kassabova ihre Reiseerlebnisse und Begegnungen zu einem Panorama menschlicher Schicksale, die, wir werden gerade Zeugen einer neuen, weltweiten Migrationsbewegung, wieder ihre Spuren im alten neuen Thrakien hinterlassen werden.




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Veröffentlicht am 4. Februar 2019