Diese Webseite benutzt keine Cookies!!!.
In „Die Spielerin“ beschreibt Isabelle Lehn den Aufbruch einer Frau aus der niedersächsischen Provinz in die verführerische, aber erbarmungslose Welt des Schweizer Finanzwesens. Die Protagonistin, nur als S. bekannt, steht anfangs am Scheideweg zwischen einer routinierten Zukunft in der Heimat – Ehe, Mutterrolle und eine Arbeit im Supermarkt scheinen beinahe unausweichlich – und einer Karriere in einer anderen Sphäre. Doch ihr Streben nach einem sozialen und finanziellen Aufstieg führt sie in die Welt der Großbanken, wo sie nach einem erfolgreichen Assessment eingestellt wird.
Schnell jedoch erfährt sie, dass ihre Ambitionen in einem männerdominierten Umfeld nur mit erheblichem persönlichem Einsatz und Durchhaltevermögen verwirklicht werden können. In ihrem Team begegnet sie ausschließlich Männern, die keinerlei Interesse daran haben, ihre Kunden oder deren profitable Geschäftsanteile zu teilen. Fachliche Unterstützung oder strategische Informationen bleiben für sie unerreichbar. Vor die Wahl gestellt, sich entweder zu beugen oder sich ihren Platz zu erkämpfen, entscheidet sie sich für Letzteres. Doch diese Entscheidung setzt eine Serie von Kraftproben in Gang, bei der sie sich immer wieder gegen die subtilen und offenen Machtkämpfe behaupten muss.
Durch ihren unbeugsamen Willen erlangt sie nach und nach Respekt und Vertrauen im Team, und mit der Zeit öffnet sich ihr der Blick hinter die Kulissen einer hochdynamischen und moralisch fragwürdigen Finanzwelt. Einmal im Inneren dieses exklusiven Kreises angekommen, wird sie in die Kunst eingeführt, das Vermögen der Reichen zu schützen – legal oder halblegal, das spielt oft nur eine untergeordnete Rolle. S. lernt, wie man Steuervermeidung praktiziert und Vermögenswerte verbirgt, und meistert die zweifelhaften Spielregeln, die den Finanzhaien ihren wirtschaftlichen Vorteil sichern. Ihre Herkunft und die heimische Provinz werden zur fernen Erinnerung, ihre Talente fallen bald auch anderen auf: Die Kalabrische Mafia wird auf sie aufmerksam und bietet ihr an, ihre Fähigkeiten auf ein neues, dunkleres Spielfeld zu übertragen. S. wird zur Meisterin der Tarnung, für ihre Umgebung unscheinbar und nahezu unsichtbar, während sie kriminelle Vermögen in legale Konstrukte überführt.
Isabelle Lehn skizziert dabei ein vielschichtiges Bild einer Protagonistin, deren Zurückhaltung zur wirksamen Tarnung wird. Diese Unscheinbarkeit ist die perfekte Maskerade, die es ihr ermöglicht, das von Männern geprägte System zu infiltrieren und zu überlisten. Ihre ehemaligen Kollegen – sämtlich Männer, die rückblickend nur staunen können – erkennen die List in ihrer vermeintlichen Schwäche nicht, die sie in die Lage versetzt, über die gesamte Branche hinweg Einfluss zu gewinnen und die Etablierten wie blutige Anfänger aussehen zu lassen.
S. bleibt für die Leser eine undurchschaubare Figur, die sich durch pure Anpassungskraft in einem undurchsichtigen, illegalen Gefüge behauptet. Indem Lehn S. nicht als bloße Kriminelle zeichnet, sondern als Frau, die in einer männlich dominierten Welt überlebt und aufsteigt, lässt sie Leser und Leserinnen mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Ist sie eine Antiheldin, eine kalkulierte Manipulatorin, oder einfach ein Produkt einer Finanzwelt, die Moral als unnötigen Luxus betrachtet?
„Die Spielerin“ ist eine schonungslose Analyse der Finanzwelt und der verborgenen Dynamiken, die Frauen in dieser dominierenden Männerwelt zurückhalten sollen. Isabelle Lehn wirft ein gnadenloses Licht auf die Kälte und Berechnung der Finanzjongleure und auf die Frage, wie weit Frauen in dieser Welt gehen müssen, um akzeptiert zu werden. Das Werk ist ein Höhepunkt des Literaturjahres 2024 und eine unbedingte Leseempfehlung für all jene, die den Nervenkitzel moralischer Ambiguität in einer bis in die Tiefe korrupten Welt zu schätzen wissen.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 31. Oktober 2024