Buchkritik -- David Graeber -- Piraten

Umschlagfoto, Buchkritik, David Graeber, Piraten, InKulturA Eines vorweg: Die Faktenlage ist dünn. Das ficht einen gestandenen Anthropologen nicht an, verführt jedoch auch zu Spekulationen und das Resultat besteht dann darin, aus, wie der Autor es selber eingesteht, dürftigen Beweisen Wissen über eine vor langer Zeit bestehende multiethnische Gesellschaft aus Piraten und sesshaften Mitgliedern zu extrahieren.

In diesem posthumen Buch blickt Graeber auf das Madagaskar des 17. und 18. Jahrhunderts und untersucht schwer einzuordnende bis fragwürdige Quellen, um daraus einige plausible Fakten über die Entstehung und das frühe Leben einer unverwechselbaren Gesellschaft im Indischen Ozean herauszuarbeiten. Der Anthropologe zeigt einmal mehr seine ideologisch begründeten Sympathien und beschreibt die Piraten, die auf den Meeren ihrem Gewerbe nachgingen und sich auf Madagaskar niederließen, als ein ethno-rassisch integriertes Proletariat, „das die Entwicklung neuer Formen demokratischer Regierungsführung anführt“.

Seine durchaus provokante These lautet, dass viele der Piraten europäische Aufklärungsideen zeigten, obwohl dieses Milieu „ein sehr unwahrscheinliches Zuhause für politische Experimente der Aufklärung“ bewohnte. Die Madagassen waren, so Graeber, „Madagaskars hartnäckigste egalitäre Gruppe“, und dort, so der Autor weiter, spielten Frauen eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft, die – Achtung! Dünne Faktenlage – jüdische, muslimische, ismailitische und gnostische sowie einheimische madagassische und christliche Ursprünge widerspiegelte.

Daraus formuliert er seine provokante Frage, ob die Ideale der Aufklärung ausschließlich in den europäischen westlichen Ländern entstanden sind. Sein Argument lautet, dass Piraten, Händler und lokale Führungspersonen im frühen 18. Jahrhundert auf Madagaskar „globale politische Akteure im wahrsten Sinne des Wortes“ waren.

Doch selbst Graeber hält das einige Seiten weiter für übertrieben. Trotzdem ist dieser mit einer angenehm leichten Diktion geschriebene Essay eine wichtige Ergänzung zur madagassischen Geschichte. Die Zielgruppen dürften primär Anthropologen sein, aber auch Liebhaber von Piratengeschichten und vor allem diejenigen, die scheinbare Beweise dafür suchen, dass multikulturell gemischte Bevölkerungen in der Lage waren, egalitäre Gesellschaften zu gründen.

Sicher umstritten, aber immerhin den Zeitgeist bedienend.




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Veröffentlicht am 20. Januar 2023