Buchkritik -- Barton Gellman -- Der dunkle Spiegel

Umschlagfoto, Buchkritik, Barton Gellman, Der dunkle Spiegel, InKulturA Spätestens seit den Enthüllungen des ehemaligen Mitarbeiters der NSA wissen wir, dass diese Behörde weltweit Daten, Telefongespräche und jede Bewegung in den digitalen Netzen abhört, verfolgt und miteinander in Beziehung setzt, sprich, die langen Ohren in Fort Meade wissen viel, sehr viel, nicht nur über US-amerikanische Staatsbürger, sondern über jeden, der sich im Netz bewegt und kommuniziert.

Im Januar 2013 erzählte die Dokumentarfilmerin Laura Poitras Barton Gellman, einem ehemaligem Reporter der Washington Post, dass eine mysteriöse Quelle wenige Tage zuvor mit ihr Kontakt aufgenommen hatte.

Diese Quelle behauptete, aus dem US-Spionagewerbe zu stammen und wartete mit unglaublichen Informationen auf: Die NSA, die National Security Agency hatte eine beispiellose Überwachungsmaschinerie aufgebaut. Die Behörde saugte heimlich Daten von Hunderten Millionen Menschen auf. Laut der Quelle waren die Auswirkungen erschreckend und sie versicherte, Beweisen dafür liefern zu können.

Das klang vielversprechend und Gellman beschloss der Story nachzugehen. In den nächsten Monaten führte Gellman eine Reihe verschlüsselter Chats mit diesem mysteriösen Informanten, der den Codenamen Verax hatte.

„Der dunkle Spiegel“ ist Gellmans Bericht über seine Gespräche mit Edward Snowden und die harrsträubende Geschichte eines von den USA dominierten globalen Überwachungssystems des 21. Jahrhunderts. Die NSA und ihr britisches Gegenstück GCHQ hören regelmäßig die gesamte globale Kommunikation ab. Die NSA hat z. B. einen Backdoor-Zugriff auf die Server von Google und anderen Social-Media-Unternehmen und sammelt Metadaten im großen Stil. So kann quasi "auf Knopfdruck" das Profil jeder beliebigen Person erstellt werden und in wenigen Sekunden darüber Auskunft gegeben, wann und mit wem diese Person Kontakt hatte.

„Der dunkle Spiegel“ ist eine Metapher für den modernen Überwachungsstaat: Die Sicherheitsbehörden können nicht gesehen werden, wir dagegen sind permanent sichtbar. Hätte sich Barton Gellman auf das Wesentliche, nämlich seine Schilderungen der Mechanismen und technischen Möglichkeiten der NSA beschränkt, wäre ein gut lesbares und informatives Buch dabei herausgekommen. Leider ist gefühlt die Hälfte des Buches mit dem großen Ego des Journalisten gefüllt und man wird Zeuge seiner langsam aber sicher zunehmenden und übertriebenen Paranoia. Gesprächspartner, deren Namen der Leser sofort wieder vergisst, werden ebenso seitenlang befragt wie die Aufzählungen des Nerd-Sprech einiger NSA-Freaks.

Den durchaus brisanten Inhalt des Buches hätte Gellman sehr gut auf weniger als 200 Seiten darstellen können. Aber dann hätten wir leider nicht erfahren, was für ein toller Hecht er doch ist. Wer beim Lesen öfter unter Müdigkeitsanfällen oder Aufmerksamkeitsstörungen leidet, sollte dieses Buch besser nicht in die Hand nehmen.




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Veröffentlicht am 30. Oktober 2020