Es hallt ein lauter Ruf durch den politisch-wirtschaftlichen Dschungel unserer Tage. Er lautet: "Öffnet die Grenzen für Spezialisten, denn wir haben nicht genug davon im eigenen Land.". Nanu, war das etwa ein Hörfehler, ein verspäteter Aprilscherz, oder einfach nur eine fehlgeleitete Tickermeldung der Presse?

Mitnichten, es ist der Wirtschaft bitterernst damit und sie wiederholt gebetsmühlenartig diese Parole. Spätestens hier fängt der normale Verstand, der Teil des Geistes also, dem es bis jetzt gelungen ist, - trotz immer währender Versuche ihn Multimedial in die Knie zu zwingen -, frei zu bleiben für kritische Überlegungen, an zu arbeiten.

Mal sehen, sagt er zu sich selber und fängt an zu rechnen. 4 Millionen Arbeitslose, davon viele Jugendliche, die nach der Schulausbildung keine Lehrstelle bekommen. Viel "freigestellte" Menschen, deren Alter sich der für Arbeitgeber existierenden Verkalkungs- und Debilitätsgrenze von 45 Jahren und mehr nähert und die deshalb anscheinend nur noch dazu fähig sein sollen, sabbernd vor einem Fernseher zu sitzen um sich endlose Talkshows anzuschauen. Viele Menschen, die sich unter großen persönlichen Opfern in Abendkursen weitergebildet haben, in der Hoffnung darauf, das gelernte Wissen auch einmal anwenden zu können, alle diese Personen sollen nicht dazu in der Lage sein, diese angeblichen Lücken zu füllen? Da muß der normale Verstand doch herzlich lachen.

Die Heiterkeit verging aber genau in dem Augenblick, als sich neben Softwareherstellern auch noch Handwerksbetriebe und sogar Restaurants und Gaststättenbetriebe zu Wort meldeten und ebenfalls laut in den Chor der Rufenden einstimmten. Von da an war es klar, das sehr viel falsch gelaufen war. Betriebe, die sich noch vor Jahren geradezu damit gebrüstet hatten, keine Lehrlinge auf ihren Gehaltslisten zu haben, Konzerne, die ihre Produktion lieber in Billigländer verlegten um in Deutschland Steuern zu sparen, ganze Branchen, die noch vor Monaten darüber klagten keine Aufträge zu haben und die sich angeblich deshalb dazu gezwungen sahen Mitarbeiter "frei zu stellen", all diese singen nun gemeinsam das Lied von fehlenden Spezialisten.

Ein Politiker, dessen Partei selber jahrelang zum Verfall des Bildungsstaates Deutschland beigetragen hat, parliert Medienwirksam, aber nichtsdestoweniger frei von Geist, vom Segen des "Kinderkriegens", als ob die Situation für Familien in den besagten Jahren nicht immer schwieriger geworden wäre. Ein Politiker, dessen Partei sich scheinbar mehr um die eigenen finanziellen Interessen gekümmert hat, als für wirksame Rahmenbedingungen in Ausbildung und Forschung zu sorgen, sollte jetzt trotz Opposition den Mund nicht so voll nehmen.

Ist es wirklich so, daß in einem Land, welches einstmals mit Recht stolz auf sein Bildungssystem sein konnte, keine Arbeitskräfte zu finden sind, die sich im internationalen Wettbewerb der ausgebildeten Arbeitnehmer als konkurrenzfähig erweisen? Der Ruf aus der Branche eines Dienstleisters, die zwar von harter Arbeit gekennzeichnet ist, sich jedoch als frei von jeglichem Spezialistentum erweist, - ich meine die Gastronomie - , beweist, daß ganz andere Gründe vorliegen, als der Mangel an Fachkräften

In einem Interview lobte ein leitender Angestellter eines deutschen Elektronikkonzern, welcher in Indien eine nicht unbedeutende Niederlassung unterhält, mit glänzenden Augen den Arbeitseifer der einheimischen indischen Angestellten. Sie sein überaus motiviert und es wäre für die kein Problem auch mal länger im Betrieb zu verweilen, oder am Wochenende zu arbeiten!.

Daher weht also der Wind. Ich denke, man kann davon ausgehen das dieser Angestellte keine einsame Stimme in der Wüste war, sondern ein gängiges Argument diverser Geschäftsleitungen und Konzernspitzen. Der deutsche Angestellte scheint teuer und unwillig zu sein und die Errungenschaften der Gewerkschaften in den Augen der Manager schiere Beutelschneiderei zum Schaden der Aktionäre. (Der Autor dieser Webseite ist kein unbedingter Freund dieser monolithischen Fossile, aber die Arbeits- und Lohnbedingungen würden ohne sie völlig anders aussehen, ohne Zweifel zum Schaden der Arbeitnehmer).

Unter dem Deckmantel der "Globalisierung" findet zur Zeit ein regelrechter Arbeitskampf statt. Konzerne versuchen rücksichtslos, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Die scheinbare Trumpfkarte besteht in der Drohung, bei Nichterfüllung ihrer Vorstellungen, Deutschland zu verlassen und anderswo Investitionen zu tätigen. Die Politik beeilt sich natürlich, um diesen Vorstellungen zu entsprechen. Schließlich steht irgendwann wieder eine Wahl an und die will mit einer halbwegs passablen Arbeitslosenstatistik gewonnen werden.

Was also ist zu tun? Zum ersten sollte sich die politische Führung darauf besinnen, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Nämlich das setzen von geeigneten Rahmenbedingungen für Schule und Ausbildung. Gleichfalls muß sie die politischen Entscheidungsstrukturen, welche in einem immer größer werdenden Rahmen von der Wirtschaft besetzt werden, zurückfordern.

Der Einfluß der Wirtschaft muß auf ein vertretbares Maß zurückgeschraubt werden, die Arbeitsmarktpolitik wieder in die Hände der Regierung gelegt werden. Denn wenn ich mich recht erinnere, wird von einem Volk immer noch eine politische Führung gewählt und keine Konzernspitze.

Die große Frage ist jedoch, ob unsere Politiker dazu in der Lage sind? Leider kann man sie nur mit einem "Nein" beantworten. Engstirnigkeit und Inkompetenz sind seit Jahren die politischen Attribute der Regierung. Aus Angst unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wird nichts entschieden (außer regelmäßigen Diätenerhöhungen).

Kann der Bürger etwas ändern? Selbstverständlich kann er das! Das ureigene demokatische Recht des einzelnen besteht ja gerade darin, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen. Eine Bevölkerung, die nicht mehr länger dazu bereit ist, über 4 Millionen Arbeitslose zu dulden und auch nicht mehr nachvollziehen kann, daß bei jeder Massenentlassung die Aktien des "freisetzenden" Konzerns in die Höhe schnellen, diese Bevölkerung könnte etwas ändern. Sie könnte die politische Führung dazu zwingen, die Bedingungen zu ändern.

Die Frage geht deshalb an jeden einzelnen von uns: "Sind wir dazu bereit, oder muß alles noch schlimmer werden, als es ohnehin schon ist?"