Buchkritik -- Kaevan Gazdar -- Zwischen Dichtern und Denkern, Richtern und Henkern

Umschlagfoto  -- Wer bislang die Frage nach der deutschen Identität stellte, der konnte sich beliebig mehrerer Klischees bedienen. Zum einen ein Deutschland, das der Welt als Hort geistiger Blüte in Kunst und Kultur daherkommt. Stellvertretend dafür stehen Namen wie Goethe, Schiller, Hegel, Lessing, etc. Zum anderen ein Deutschland, welches sich unter der Diktatur des Nationalsozialismus ungeheurer Verbrechen hat schuldig gemacht. Nicht zu vergessen das stereotypisch daher kommende Mantra von der latenten Aggressivität und Militanz des deutschen Volkes, die einer demokratiefeindlichen Obrigkeitshörigkeit entspringt. Der "deutsche Sonderweg" und die daraus resultierenden historischen Ausgrenzungsversuche der sog. klassischen Demokratien wie Frankreich, Großbritannien und den USA hat für ein lang währendes Erbe gesorgt, aus dessen Fundus sich auch heute noch Ressentiments bedienen lassen.

Preußen, das Kaiserreich und das Dritte Reich sollen in diesem Zusammenhang eine spezielle deutsche Tradition der Diktatur und der Unfreiheit zeigen. Aus diesem Grund steht keine Nation so unter Globalüberwachung wie die deutsche und noch immer ist die zwölf Jahre währende Nazidiktatur ein beliebtes Sujet manch einer Hollywoodproduktion. Nicht nur hier, man denke auch an die These vom "Tätervolk" eines Daniel Goldhagen, wird sich gern längst überwunden geglaubter Feindbilder bedient und sie bei passender Gelegenheit aus der Mottenkiste der Vergangenheit hervorgeholt.

Kaevan Gazdar geht in seinem Buch Zwischen Dichtern und Denkern, Richtern und Henkern einen anderen Weg. Er zeigt ein Bild von Deutschland, dass die Negativerscheinungen natürlich nicht verschweigen will, aber doch ein Augenmerk auf die seit der Aufklärung in Gang gekommene Liberalisierung richtet und die daraus resultierenden politischen Fortschritte kommentiert.

Diese Betrachtungsweise, welche die historischen Fakten vorurteilsfrei untersucht, kommt naturgemäß zu anderen Ergebnissen als eine von ideologischen Motiven geleitete Forschung. Nicht nur Preußen, sondern auch das Kaiserreich besaßen im Gegensatz zum allgemein verbreiteten Geschichtsbild bereits etliche Kriterien eines sozialen Rechtsstaates. Der Kampf z. B. um Bürger- und Frauenrechte, der seit dem 18. Jahrhundert stellvertretend durch Männer wie Johann Jacoby und Theodor Gottlieb von Hippel geführt wurde ist nur ein Beispiel für den Beginn einer demokratischen Bewegung, die nicht zuletzt zu der Zivilgesellschaft geführt hat, deren Teilnehmer und Gestalter wir heute sind.

Kaevan Gazdar weist in seinem Buch auf die Kontinuität liberaler und demokratischer Bestrebungen hin, die im Gegensatz zu "typisch deutsch" stehen und deutlich zeigen, dass der Begriff "deutsche Identität" weitaus differenzierter behandelt werden muss, als das bisher geschehen ist.




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