Buchkritik -- Jane Gardam -- Ein untadeliger Mann

Umschlagfoto, Jane Gardam, Ein untadeliger Mann, InKulturA Warum die englische Schriftstellerin Jane Gardam in Deutschland nahezu unbekannt ist, darüber darf spekuliert werden. Ihr bereits 2004 erschienener Roman "Old Filth" liegt jetzt auch in einer deutschen Übersetzung vor. "Ein untadeliger Mann", so der deutsche Titel, zeigt, dass die Autorin - in England längst bekannt - es versteht, Geschichte und Gesellschaftskritik bestens miteinander zu kombinieren.

Old Filth, sein richtiger Namen lautet Edward Feathers, ist ein ehemaliger Richter der Kronkolonie Hongkong, der nach seiner Pensionierung zusammen mit seiner Frau Betty nach England zurückkehrt und dort zurückgezogen in Kent lebt. Nach dem Tod seiner Frau zieht Edward die Bilanz seines Lebens und Jane Gardam lässt vor den Augen des Lesers den Niedergang des British Empire Revue passieren.

Geschickt verbindet die Autorin verschiedene Zeitebenen, die, immer aus der Rückschau Edwards erzählt, das Bild einer Epoche heraufbeschwört, die sich ihrem Ende nähert. Old Filth ist in den Augen seiner Zeitgenossen ein ehrenwerter und solider Mann, der über eine sehr gute berufliche Reputation verfügt. Doch die vordergründige Tadellosigkeit ist nur eine Fassade, dahinter verstecken sich Kränkungen und ein, dem damaligen Zeitgeist geschuldet, verpasstes Leben.

Edward litt sein ganzes Leben darunter, ein Raj Kind zu sein. So wurden die Kinder genannt, die von ihren Eltern in den überseeischen Kolonien zurück nach England geschickt wurden und dort bei oft gewalttätigen Pflegeeltern erzogen zu werden. Nicht selten, so auch im Fall Edwards und seiner Frau Betty, die ebenfalls ein Raj Kind war, sahen sie ihre leiblichen Eltern nie wieder.

Die Rückkehr nach England wird für Edward zu einem Kulturschock, denn die Welt, die er kannte, in der er sich mühelos bewegte und deren Spielregeln er perfekt beherrschte, gibt es nicht mehr. Verzweifelt und mit einer gehörigen Portion Altersstarrsinn behaftet, versucht er den Lauf der Zeit aufzuhalten und sucht den Kontakt zu den mit ihm bei den Pflegeeltern lebenden Personen, mit denen ihn damals ein starkes Gefühl der Solidarität verband. Dabei erfährt und erlebt er jedoch intime Einzelheiten, die ihn sogar an der Treue seiner verstorbene Frau zweifeln lassen.

Jane Gardam hat mit "Ein untadeliger Mann" einen Roman geschrieben, der das Bild einer Epoche nachzeichnet, die der letzte Höhepunkt der britischen Geschichte gewesen ist. Ihr gelingt es mühelos, ein zeitkritisches Bild sowohl der Gegenwart als auch der Vergangenheit zu schildern, dessen Protagonisten jedoch immer davon überzeugt sind, in der besten aller Welten zu leben.

Mit viel englischen Humor ausgestattet, ist dieser Roman beispielhaft für diese außergewöhnliche Autorin. Man wünscht sich, dass noch weitere Bücher von Jane Gardam ins Deutsche übersetzt und somit den interessierten Lesern zur Kenntnis gebracht werden.




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Veröffentlicht am 29. Oktober 2015