Buchkritik -- Guntram Vesper -- Frohburg

Umschlagfoto, Buchkritik, Guntram Vesper, Frohburg, InKulturA Wahrlich kein Buch für den schnellen Genuss ist Guntram Vespers "Frohburg", in dem auf über 1000 Seiten, der Autor soll auf weitere 400 verzichtet haben, Autobiografisches und Fiktives rund um die westsächsische Kleinstadt Frohburg niedergeschrieben wurde.

An einer Stelle des Romans, wenn es denn einer ist, spricht der Autor von Verästelungen, Verzweigungen und Verflechtungen, und in der Tat wird der Leser zum Zeugen von Zeitgeschichte, die, aufbereitet durch zahlreiche Gedanken und Erinnerungen, unermüdlich mändernd aus dem Gedächtnis Vespers fließt.

Familiäres wird mit dem Zeitgeschehen kombiniert und noch jede Reminiszenz führt zu einer anderen Geschichte, die, immer verwoben mit dem Heimatort Vespers, gut vierzig Kilometer südlich von Leipzig, ein opulentes Gesamtbild gelebter Geschichte liefert.

Die Frage, ob diese Art Literatur, narrativ-reflektorisch und extrem persönlich überhaupt in die Gattung Roman passt, ist müßig, denn was Vesper da in seinem monumentalen, jedoch niemals den Kontext des persönlich Erlebten verlassenden Werk abliefert, geht weit über dessen hinaus, was ein Roman kann.

"Frohburg" ist ein über viele Jahre sich hinziehender Zeitzeugenbericht, des ideologisch hoch kontaminierten 20. und 21. Jahrhunderts, dass Europa den Schrecken zweier Diktaturen bescherte, über die ausschließlich akademische Diskussionen zur Frage, welche die schlimmere war, geführt werden.

Ganz anders das vorliegende Werk mit seinen Einschüben, seinen immer wieder im Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart sich befindenden Rückblicken, die ein sprachgewaltiges Panorama aus Politik, Kultur, Tradition und Geschichte liefern.

Dort wo Vesper Geschichte mit Persönlichem in Verbindung bringt,liegen die zahlreichen Höhepunkte des Romans. Da steht eine perfekt beschriebene Motorradfahrt seiner frisch verliebten Eltern in den 1930er Jahren neben dem Schrecken und der Willkür der sowjetischen Besatzungsmacht.

Ein vergilbtes Foto aus dem familiären Nachlass öffnet auf einmal einen längst vergessenen Korridor in die Vergangenheit und evoziert Erinnerungen, die wiederum andere Gedankensegmente hervorrufen. Das Wiederfinden eines verloren geglaubten Gegenstandes aus der Kindheit bringt ganze Bilderwelten zum Vorschein, die mit intensiver Resonanz zu schwingen scheinen.

"Frohburg" nötigt dem Leser vor allem eines ab: Geduld. Auch die manchmal eigenwillige Interpunktion und der fast absatzfreie Schreibfluss erfordern viel guten Willen seitens des Lesepublikums. Hat sich das allerdings erst einmal mit diesem, auf den ersten Blick störrischen Werk angefreundet, wird es mit einem großartigen Stück Literatur belohnt.




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Veröffentlicht am 22. Mai 2016