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Buchkritik -- Sasha Filipenko -- Der Schatten einer offenen Tür

Umschlagfoto, Buchkritik, Sasha Filipenko, Der Schatten einer offenen Tür, InKulturA Ostrog, ein abgelegenes Provinznest, mehrere Flugstunden von Moskau entfernt, gleicht einem trostlosen Fleckchen Erde, das auf der Landkarte leicht übersehen werden könnte. Abseits jeder Nennenswürdigkeit drückt der Ort durch seine Monotonie und Bedeutungslosigkeit aufs Gemüt. Die wenigen „Attraktionen“ beschränken sich auf ein düsteres Gefängnis und ein Waisenhaus, das nicht selten unfreiwillig den Nachwuchs für erstere Einrichtung liefert. Abgesehen davon prägen Schmutz und eine lähmende Trägheit das Stadtbild, während das eigentliche Leben sich anderswo abzuspielen scheint.

In dieses öde Niemandsland wird der Moskauer Kommissar Alexander Koslow entsandt, um gemeinsam mit einem jungen Kollegen – der bedauerlicherweise von naiven Hollywood-Klischees über den Polizeidienst geprägt ist – eine rätselhafte Serie von Jugend-Selbstmorden im Waisenhaus zu untersuchen.

Die örtliche Polizei hat rasch einen Schuldigen präsentiert: Petja, ein ehemaliges Waisenkind und Einzelgänger. Obwohl er für viele als verschrobener Außenseiter gilt, verbirgt sich hinter seiner rauen Schale eine herzensgute Natur. Unermüdlich hält er seinen Mitmenschen den Spiegel vor, indem er ihnen ihre Verfehlungen aufzeigt – ein Verhalten, das ihm wenig Sympathien einbringt.

Für Koslow ist dies nicht der erste Fall, den er in Ostrog lösen muss. Bei seinem ersten Einsatz hatte er es mit einem früheren Häftling zu tun, der sich nach seiner Entlassung als undurchsichtiger Unternehmer im Ort einen Namen gemacht hatte. Jener plante den Bau einer Fabrik, doch bevor es dazu kam, landete er erneut hinter Gittern – die Gründe dafür bleiben im Dunkeln. Trotz seines zwielichtigen Charakters hatte dieser Mann offenbar ein weiches Herz für die Kinder des Waisenhauses und organisierte für sie eine Reise nach Griechenland. Dort bekamen die Jugendlichen einen flüchtigen Blick auf ein anderes, für sie unerreichbares Leben, das in krassem Gegensatz zu ihrer eigenen ausweglosen Existenz stand.

Nach und nach erkennt Koslow, dass der wahre Auslöser der Selbstmorde nicht Petja ist, dem man unter Gewalt ein Geständnis abgerungen hatte, sondern dass der Kommissar selbst, durch seine eigene Vergangenheit, eine Schlüsselrolle in diesem tragischen Geschehen spielen könnte.

In „Der Schatten einer offenen Tür“ erzählt Sasha Filipenko mit erschütternder Eindringlichkeit von einem Land, das von Lethargie, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung erdrückt wird. Die Zukunft, vor allem der jungen Generation, scheint in Stein gemeißelt. In Ostrog dominieren das Gefängnis und das Waisenhaus das Stadtbild und versinnbildlichen die schmerzhafte Realität: Ein Ausweg aus diesem zermürbenden Teufelskreis erscheint kaum möglich. Doch einige der Waisenkinder haben auf tragische Weise ihren eigenen Weg gefunden, dem unerträglichen Stillstand zu entfliehen.

Filipenko gelingt es meisterhaft, die düstere Lebensrealität jener zu schildern, die fernab der strahlenden Metropole Moskau existieren, jenseits von Hoffnung und Zukunftsperspektive. Sein Roman ist eine feinfühlige, zugleich schonungslose Darstellung eines Landes, das mit sich selbst ringt und in dem das Schicksal der Schwächsten oft schon besiegelt scheint.




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Veröffentlicht am 18. Oktober 2024