Buchkritik -- Ilija Trojanow -- Doppelte Spur

Umschlagfoto, Buchkritik, Ilija Trojanow, Doppelte Spur, InKulturA Dem Protagonisten des Romans, zufällig trägt er den Namen Ilija Trojanow, werden vertrauliche Dokumente, Top-Secret sozusagen und erst recht for your Eyes only zugespielt. Dumm nur, oder auch nicht, kommen diese Leaks, die bis auf die Zeiten des Kalten Krieges zurückreichen, von zwei Quellen, deren Provenienz nicht unterschiedlicher sein könnte. Ein englisch- und ein russischsprachiger Whistleblower spielen dem Journalisten Informationen aus gut bis sehr gut unterrichteten Kreisen zu.

Damit fängt der Schlamassel jedoch erst an, denn die Dokumente sind zahlreich, widersprüchlich und mit Vorsicht zu genießen, denn schier unglaubliches, ja geradezu kriminelles Verhalten wird darin beschrieben. Verbindungen zwischen Organisierter Kriminalität und Politik, Korruption im großen Stil, Erpressungen und rätselhafte Todesfälle hüben und drüben.

Klar, dass der Journalist Hilfe braucht, um den Wust an Material zu sichten. Zusammen mit dem Fatalisten Boris macht er sich daran, Wahrheit von Fälschung, Fiktion von Realität und Fakenews von echten Nachrichten zu trennen.

Keine leichte Aufgabe, denn eines wird den beiden klar: Die Realität ist schlimmer, als jeder Fake. Hinter den Kulissen öffentlicher Aufmerksamkeit treiben Kriminelle, oft als Politiker verkleidet, ihr böses, aber lukratives Geschäft. Enorme Geldbeträge wechseln die Besitzer und nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Fall der Mauer macht sich eine wiedervereinigte polit-ökonomische Clique daran, die ehemalige UdSSR meistbietend zu verscherbeln.

Doch, so die beiden Rechercheure, kann man den Leaks trauen oder sind sie Waffen im Kampf zwischen Information und Desinformation? Wie zuverlässig sind die Quellen und welche Ziele verfolgen sie? Ist die Organisierte Kriminalität nur ein Akteur auf der politischen Bühne oder ist die Politik nicht längst der „Capo di tutti i capi“ aller Halunken dieser Welt?

Alle derzeit üblichen Verdächtigen tauchen auf, zwei Präsidenten, Ost- und Westgeheimdienste und, als die Dokumentarfilmerin Emi zu Iliya und Boris stößt, die Namen zahlreicher oberer Zehntausend, die sich gerne am Mädchenpool eines Herrn Wasserstein bedienten.

„Doppelte Spur“ ist ein bitterböser Roman über die neue Währung des globalen Kapitalismus. „Sage mir welche Informationen Du brauchst und ich liefere sie Dir.“ Er ist auch ein Lehrstück über die Mechanismen innerhalb des Clans der wirklich Mächtigen, die, im wahrsten Sinn des Wortes über dem Gesetz stehen, die die Macht besitzen, sogar Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden Weisungen bezüglich rechtzeitigem Wegblicken zu geben und die, egal welches krumme Geschäft sie betreiben, niemals zur Rechenschaft gezogen werden.

Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Gleich zu Beginn des Romans schreibt der Autor "Alles in diesem Roman ist wahr oder wahrscheinlich“ und so verschwimmen denn auch Fakten und Fiktionen zu einer klebrigen Masse im digitalen Informationssumpf. Die Dystopie ist bereits Realität.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 28. September 2020