```

Buchkritik -- Lee Child/Andrew Child -- Der Puma

Umschlagfoto, Buchkritik, Lee Child, Andrew Child, Der Puma, InKulturA „Der Puma“,im Original „No Plan B“, ist ein Reacher-Roman, bei dem sich Andrew und Lee Child von der bewährten Formel ihres literarischen Imperiums etwas zu weit entfernen. Das Buch verknüpft drei Handlungsstränge: die Machenschaften eines privaten Gefängnisvorstands in Mississippi, die halsbrecherische Flucht des Pflegekindes Jed Starmer quer durch die USA und den Rachefeldzug eines wohlhabenden Chicagoer Geschäftsmannes, dessen Sohn auf rätselhafte Weise ums Leben kommt. Jack Reacher gerät durch einen scheinbar wie Suizid inszenierten Anschlag in Gerrardsville, Colorado, in die Affäre und macht sich, ganz in der Tradition seiner Art, unerschrocken auf den Weg, Licht ins Dunkel zu bringen.

Gleich zu Beginn versammelt sich ein Kreis von Bösewichten, die ein PR-Event für ihr elitäres Strafvollzugskonzept planen. Dann springt die Erzählung abrupt drei Tage zurück, um gleichzeitig in L.A. die Geschichte des Teenagers Jed zu verfolgen: Ein Pflegekind, dessen Naivität und jugendlicher Übermut ihn auf einen gefährlichen Roadtrip gen Osten treiben. Schließlich sehen wir in Chicago, wie ein skrupelloser Geschäftsmann, dessen Sohn an einem vermeintlichen Heilmittel verreckt ist, in finsterer Wut nach Vergeltung sinnt. Erst auf den letzten Seiten findet sich dieses Drei-Länder-Puzzle zusammen, wenn Reacher in der Kleinstadt Winson in Mississippi auf die Protagonisten trifft und ein erbitterter Showdown heraufzieht.

Formal ist „Der Puma“ ungleichförmig. Während in früheren Reacher-Bänden Lee Child die Spannung mit präzisen, pointierten Kapiteln und einem klaren Fokus auf Reachers Perspektive steigerte, verlieren sich Andrew und Lee Child in langatmigen Exkursen. Besonders die Kapitel um Jed Starmer wirken wie Fremdkörper: Sie sind zwar actiongeladen, aber oft klischeebeladen und mit gefährlichen Zufällen überfrachtet, die mehr Lücken füllen als die Handlung voranzutreiben. Der Wechsel zwischen verschiedenen Handlungssträngen soll scheinbar für Abwechslung sorgen, zersplittert jedoch die Spannungskurve und mindert das Tempo in den Reacher-Passagen.

Wer bislang eine klare Reacher-Struktur erwartete, Ort X, Gefahr Y, Reacher steigt ein, Lösung Z, wird hier irritiert. Die Action setzt spät ein, die Ermittlungen ziehen sich, und die vermeintlichen Bösewichte bleiben oberflächlich skizziert. Die Auflösung des zentralen Verbrechens, so schrecklich es im Kern auch sein mag, bleibt schattenhaft und wirkt in letzter Konsequenz konstruiert. Die Entscheidung der Bösewichter, Reacher in Winson abzufangen, mutet bemüht an, ebenso wie die obligatorischen Prügeleien, aus denen unser Held trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit jedes Mal siegreich hervorgeht. Das mag Fans zwar nicht überraschen, doch der Pathos wirkt hier überzeichnet und ohne den früheren Witz und der Genialität, die Jack Reacher einst ausmachte.

Ein weiteres Ärgernis sind Kleinigkeiten, die langjährigen Reacher-Lesern sofort ins Auge springen: Während es zum Kanon gehört, dass Reacher seinen „inneren Wecker“ bis auf die Minute genau stellt, wird er hier von Hannah Hampton um 7:30 Uhr geweckt, ein Detail, so unbedeutend es scheint, das aber symbolisiert, wie sehr der Tonfall vom Original abweicht. Selbst eine Figur wie Hannah, die Ex-Frau eines Mordopfers, wirkt als Begleiterin eher gewollt denn organisch eingebunden. Ihr Zusammenspiel mit Reacher bleibt blass und konturlos.

Positiv zu vermerken ist, dass die Autorschaft etwas mehr Mut zur Brutalität zeigt: Die Kämpfe sind knallhart, die Schilderungen ohne Rücksicht auf Gefühle. Doch dieser kompromisslose Ansatz ersetzt nicht die erzählerische Finesse, die in früheren Bänden dank eines sparsam eingesetzten Humors, eines flüssigen Erzählrhythmus’ und eines meisterhaften Spannungsaufbaus spürbar war. Vielmehr wirkt „Der Puma“ wie der Versuch, das Erfolgsrezept zu variieren, ohne zu begreifen, weshalb es so gut funktionierte.

Hat Jack Reacher tatsächlich „keinen Plan B“? Vielleicht. Doch der Autorenwechsel hinterlässt den Eindruck, Reacher sei hier nur Statist in seinem eigenen Roman. Der stärkste Reacher-Charme, das Gefühl, dass unser Protagonist selbst in ausweglosen Lagen stets Herr der Lage bleibt, weil er nicht nur stark, sondern auch klug und witzig agiert, fehlt weitgehend. Das Buch lässt den Leser zwar nicht kalt, da am Ende doch noch ein Showdown wartet, der es in sich hat, doch das Gesamtbild bleibt unbefriedigend: Ein flüssiges, spannendes Lesevergnügen, wie man es von Lee Child gewohnt ist, entsteht nicht.

Schließt man den Band, bleibt vor allem eines: das Bewusstsein, dass Jack Reacher zwar körperlich unbesiegbar scheint, narrativ aber unter dem Gewicht eines Verkaufsmodells leidet. „Der Puma“, wer diesen deutschen Titel verantwortet hat, ist rätselhaft, liest sich wie ein ungleichmäßiger Brückenschlag zwischen alt und neu, der weder den alten Lesergeschmack befriedigt noch einen eigenständigen Ton trifft. Und so muss man resigniert feststellen: Jack Reacher mag weiterleben, doch das, was ihn einst ausmachte, ist mit „Der Puma“ nicht erhalten geblieben.

R.I.P. Jack Reacher, oder zumindest die Legende, die wir kannten.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 28. Juli 2025