Buchkritik -- Jérôme Ferrari -- Das Prinzip

Umschlagfoto, Jérôme Ferrari, Das Prinzip, InKulturA Als im Jahr 1927 von Werner Heisenberg die Unschärferelation formuliert wurde, ging ein bislang gültiges Weltbild für immer verloren. Im Gegensatz zur klassischen Physik, die eindeutige und nachprüfbare Aussagen macht, kann die Quantenmechanik nur Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen. So ist es nicht möglich, gleichzeitig den Ort und Impuls eines Teilchens zu messen. Will man z. B. dessen Ort bestimmen, so beeinflusst diese Messung den Impuls und verhindert somit die Ermittlung dieses Wertes.

Die klassische Physik befindet sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer Umbruchsituation. Das Prinzip von Ursache und Wirkung gerät ins Wanken und scheinbar unverrückbare Voraussetzungen erweisen sich als Illusion.

Jérôme Ferrari hat mit seinem Roman "Das Prinzip" eine sehr persönlich gefasste Auseinandersetzung mit dem Menschen Heisenberg unternommen, der, hineingezogen in den Strudel des Nationalsozialismus, es versuchte, in einer aus den Fugen geratenen Zeit, Position zu beziehen.

Im Gegensatz zu vielen seiner Forscherkollegen blieb Heisenberg in Deutschland, was ihm nach 1945 oft vorgeworfen wurde. Als Mensch eher unpolitisch, wurde ihm trotzdem von nationalsozialistisch orientierten Kreisen vorgeworfen, die "Deutsche Physik" jüdisch zu unterwandern. Um sich und seine Familie zu schützen, benutzte er die weitläufige Bekanntschaft seiner Eltern zur Familie Himmler, um sich vor diesen in Sicherheit zu bringen.

Obwohl Heisenberg kein Mitläufer des Systems gewesen ist, bekommt der Leser den Eindruck, dass Ferrari es ihm vorwirft, nicht eindeutig genug Stellung bezogen zu haben, sondern sich hinter einer Fassade des "Schlimmeres verhüten" versteckte. Doch gleichzeitig ist der Autor sich dessen bewusst, dass es Zeiten gibt, und der Nationalsozialismus ist eine von ihnen, in denen die Frage nach der Verabsolutierung von Moral nicht eindeutig zu beantworten ist.

Genau in diesem nicht zweifelsfrei zu bestimmendem Zustand befand sich auch Werner Heisenberg, ja er verkörpert sogar ein doppelten Dilemma. Einmal das der Wissenschaft, die, nicht zuletzt durch Heisenberg selber, in Gebiete vorgestoßen ist, die sich dem Einfluss und der Erklärung entziehen, die, im herkömmlichen Sinn sogar unlogisch und disparat erscheinen, und das des Wissenschaftlers, der, denkt man an den Bau der ersten Atombombe, seine Forschung bewusst in den Dienst der Politik gestellt hat.

Ferrari ist sich des Heisenbergschen Zwiespalts immer bewusst, was ihn jedoch nicht davon abhält, anhand des Farm-Hill-Protokolls, das die Gespräche der nach dem Krieg in England internierten Mitarbeiter am vermeintlichen Atombombenprojekt der Nationalsozialisten festhielt, harsche Kritik am realitätsverweigernden Narzissmus der Wissenschaftler zu üben.

Die Welt ist, zumindest in den Größenordnungen mit denen die Quantenmechanik zu tun hat, letztendlich nicht zu vermessen und entzieht sich (noch) ihrer vollständigen Entdeckung. Leidet, und das zeigt Jérôme Ferrari in seinem Buch auf tragische Weise, ist davon auch das Selbstverständnis des Menschen betroffen.




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Veröffentlicht am 9. März 2015