Buchkritik -- Julia Veihelmann -- Die Grundprinzipien der Navigation

Umschlagfoto, Julia Veihelmann, Die Grundprinzipien der Navigation, InKulturA In einer ihrer Kurzgeschichten lässt Julia Veihelmann eine Figur davon sprechen, dass es nicht auf die Dinge ankomme, sondern auf den rechten Abstand zu ihnen. Geht man davon aus, dass zu diesen Dingen alles gehört, was außerhalb der Sphäre des Individuums angesiedelt ist, so haben die Personen, die die Autorin in ihrem Buch "Die Grundprinzipien der Navigation" beschreibt, einen sehr großen Abstand und leben distanziert in einer Welt, die sich weit von dem entfernt hat, was man gemeinhin unter gesellschaftlichem Konsens versteht.

Es sind Einzelne, oft Einsame, der gesellschaftliche Mainstream würde sie ohne Zweifel als spleenig, ja als Außenseiter bezeichnen, deren Aufmerksamkeit dem Subversiven, dem Untergründigen gewidmet ist und die ein tiefes Misstrauen, fast schon eine Idiosynkrasie gegenüber dem, was die wohl die Mehrheit unter Konventionen versteht, besitzen.

"Nichts als leerer Raum", so beschreibt es die junge Frau - wir kennen ihre Namen nicht - in der Geschichte "Schritte, Stolpern". Die Figuren Veihelmanns können hinschauen, wo sie wollen, außen und innen, überall werden sie mit einer Leere konfrontiert, die geradezu eine Abgrenzung erfordert, um überhaupt so etwas wie eine Struktur ins eigene Leben zu bekommen.

So verwundert es nicht, wenn sich die Figuren - wunderbar beschrieben - in einer Welt des Fiktiven bewegen, die, wie in der Geschichte "Strichlisten", auf äußere Reize, in diesem Fall die aufgezwungene Kommunikation von Kollegen, mit einem gerade erfundenen Lebenslauf reagiert, der jedoch sofort zu einem realen Gerüst der jeweiligen darüber sinnierenden Person wird.

Die Figuren der Autorin leben in einem doppelten Zwiespalt. Mit sich selber und mit der Gesellschaft. Gelingt es z. B. Sophie in "Heldinnen" ihrer Existenz durch das Schreiben von Groschenromanen einen Hauch von Realität zu verschaffen, so wird der junge Mann aus "Die Verlockungen des Unterholzes" gerade in dem Augenblick scheitern, als er eine "Hochstimmung" geriet, ",... dass alle Dinge sich finden würden." Der Leser wird kein Zeuge seines Scheitern, denn die Autorin bricht zehn Minuten vor den Eintritt eines ominösen Ereignis die Erzählung ab. Der Leser weiß nur, es ist zu spät für jegliche Veränderung.

Die acht Geschichten in Julia Veihelmanns Buch sind auch acht Fluchten vor der Konfrontation mit der Welt. Jede Figur, die die Autorin mit einer Eindringlichkeit beschreibt, die den Leser gefangen hält und ihn auf eine, zuerst stille, im Verlauf des Buches jedoch immer eindringlicher werdende Tour der unendlichen Interpretationsmöglichkeiten menschlicher Existenz mit ihrer verwirrenden Menge an Zeichen und Markern mitnimmt, ist auf ihre ganz eigene Weise in ihrem jeweils eigenen Universum gefangen. Innen, so wie auch außen. Der Blick hinein provoziert die Reaktion nach draußen.

Bereits mit ihrem ersten Roman "Unterkunft" hat Julia Veihelmann gezeigt, dass sie eines der großen schriftstellerischen Talente dieses Landes ist. Mit ihren neuen Werk, "Die Grundprinzipien der Navigation" beweist sie erneut ihre Meisterschaft im Ausloten individueller Orientierungsversuche, an denen einzelne auch scheitern können.

Aus diesem Grund ist es schade, dass es das deutsche Feuilleton bislang versäumt hat, auf diese junge Autorin aufmerksam zu machen.




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Veröffentlicht am 6. September 2014