Buchkritik -- Wolfgang Caspart -- Politische Philosophie eines modernen Idealismus

Umschlagfoto  -- Wolfgang Caspart  --  Politische Philosophie eines modernen Idealismus, InKulturA Das politische Denken des Westens ist an einem Punkt angelangt, an dem deutlich wird, dass die bisherigen Paradigmen, mit denen die herrschenden Eliten ihr Handeln legitimieren, sich in einem immer schneller voranschreitenden Prozess der Auflösung befinden. Die Erosion des gesellschaftlicher Realzustands nimmt ein beängstigendes Tempo an, auf das die etablierten Kräfte in Politik und Wirtschaft, aber auch in der Kunst und in den Medien mit unverhohlener Ignoranz, die deren Hilflosigkeit nur schwer kaschieren kann, reagieren.

Wolfgang Caspart legt in seinem Buch "Politische Philosophie eines modernen Idealismus" eine Analyse des Ist-Zustands des westlichen Denkens vor. Ausgehend von den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft, nach deren allgemein Ergebnissen alle komplexen dynamischen Systeme durch Kontroll- und Ordnungsparameter gesteuert werden, attestiert der Autor das Versagen einer Politik, die sich in erster Linie in ihrem ideologisch-theoretischen Bollwerk verschanzt hat. Erstere, die Kontrollparameter, sind externe, außenwirksame Instanzen, während letztere, die Ordnungsparameter, interne Steuer- und Regelsysteme darstellen. Der Autor schlägt einen großen Bogen von den Naturwissenschaften zu den Sozialwissenschaften und unternimmt aufgrund seiner Ergebnisse eine Ideologiekritik, die in einer Kritik der herrschenden Politik und des aus ihr resultierenden Staatsdenkens mündet.

Im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Systemtheorie, die sich als ein sich selbst entwickelnder und steuernder Organismus versteht und somit ein offenes, zukünftige Entwicklungen ermöglichendes, ja geradezu herausforderndes Prinzip darstellt, ist die politische Ideologie eine stets brutal verkürzte Form der jeweiligen Möglichkeiten und eine Verabsolutierung eines zufällig gewählten historischen Augenblicks. Ideologien sind ausschließlich, so Wolfgang Caspart, der Ausdruck individueller Betroffenheit der Ideologen selber und deren Kompensation ihrer eigenen Traumata.

Mit dieser Analyse befindet sich der Autor bereits mitten in der Kritik der aktuellen Politikwissenschaft. Durch das ständige Manipulieren der Ordnungsparameter, das einzig dem kurzfristigen Erfolg der herrschenden Eliten dient, wird das System in den permanenten Zustand des Chaos transformiert. Anstelle sich auf die richtigen Einstellungen der Kontrollparameter zu konzentrieren und diese korrekt zu setzen, wird das System in eine ideologische Zwangsjacke gesteckt, deren Beschränkungen in den aktuellen Fehlentwicklungen zu beobachten sind.

Das Ergebnis dieser Systemmanipulationen besteht in der perpetuierten Selbstrefferentialität des politischen Personals und der daraus resultierenden ochlokratischen Herrschaftsform. Die herrschenden Eliten sind ideologische Bürokraten, deren Politik in der Durchsetzung ihrer Vorstellungen und des jeweils eigenen Machterhalts besteht. Ochlokratie, die Herrschaft des Pöbels, ist das negativen Ergebnis einer ideologischen Systembeeinflussung.

Da die Schaltstellen der Macht, dazu gehören auch die Apologeten in den Medien - immer aufs Neue mit systemkonformem Nachwuchs besetzt werden, gibt es, so bemerkt Wolfgang Caspart zutreffend, keine legale, sprich gewaltlose Möglichkeit, den herrschenden Parteien Einhalt zu gebieten. Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage, wie zukünftige Eliten ausgewählt werden sollten. Der Autor denkt da an eine meritokratische Methode, die das geeignete Führungspersonal aufgrund dessen Qualifikationen und Fähigkeiten beruft. Wer sich in der aktuellen Parteienlandschaft umsieht, der wird in der Tat mehrheitlich wenig qualifizierte oder noch weniger verdienstvolle Individuen finden. Das Parteibuch und die Netzwerke sind die wirklichen Karrieremacher und weniger eine herausragende Leistung. Wolfgang Caspart erwähnt es nicht explizit, doch ein charismatischer und erfolgreicher Unternehmer, der sich für ein politisches Amt bewerben würde, löst garantiert sofort Angstreaktionen beim mittelmäßigen politischen Personal aus.

Sehr interessant ist Casparts These von der Notwendigkeit einer transzendenten politischen Idee, die, analog zu den Ergebnissen der Naturwissenschaften, den jeweiligen Erfahrungshorizont als einen vorübergehenden und temporär angelegten versteht und aufgrund dessen die politischen und wirtschaftlichen Eliten allenfalls an den bereits erwähnten Kontrollparametern die notwendigen Justierungen vornehmen dürfen. "Eine wirr gewordene Welt verlangt nach einem metaphysischen Ordnungsrahmen". (S. 47)

Die Idee der politischen Transzendenz, der "überzeitlichen Aufgaben" (Caspart) manifestiert sich im Begriff des Reichs. Alle historischen Reiche bezogen ihre Stärke und ihren Einfluss durch eine übergeordnete Idee. Das chinesische "Reich der Mitte" war bestrebt, das Tao der Erde dem Tao des Himmels anzugleichen. Alexander der Große erweiterte den Einfluss der griechischen Zivilisation. Das römische Reich verbreitete die "Pax Romana" und das Sendungsbewusstsein des spanischen Imperiums wollte das katholische Christentum in den neuen Kolonien etablieren. Die UdSSR verstand es als ihre historische Aufgabe den Kommunismus global zu installieren und die USA betrachten sich immer noch als den Garanten von Freiheit und Demokratie. Dem hat das "alte Europa" wenig entgegenzusetzen.

Dass die USA seit dem Ende des Kalten Krieges auf den globalen Führungsanpruch bestehen, liegt am Selbstverständnis der wirtschaftlichen und politischen Elite Amerikas. Hier findet, im Gegensatz zu Europa, eine ständige Funktiosfluktuation zwischen der Wirtschaft und der Politik statt. Es wäre in den USA undenkbar, dass jemand in eine politische Führungsposition gelangt, der nicht auch ein erfolgreicher Unternehmer ist.

Während sich in den politischen Zirkeln der USA aus diesem Wissen um die individuelle Brillanz mit Hilfe eines "internen" Bildungswegs an den Eliteuniversitäten ein global agierendes Selbstbewußtsein formiert, krankt Europa an einer subalternen Bürokratie, die aktuell in Brüssel aus dem Kontinent ein undemokratisches und bürgerfernes Monster generiert.

Wolfgang Caspart bietet in seinem Buch "Politische Philosophie eines modernen Idealismus" keinen Königsweg zur Systemänderung. Diese ist aktuell auf legalem Weg, gewaltlos und unblutig, sowieso nicht durchführbar. Als Analyse der bestehenden Verhältnisse und daran anschließend die Infragestellung des derzeitigen politischen Systems ist es jedoch überaus lesenswert.




Meine Bewertung:Bewertung