Buchkritik -- Ehrhardt Bödecker -- Preußen, eine humane Bilanz

Umschlagfoto  -- Ehrhardt Bödecker  --  Preußen, eine humane Bilanz Die deutsche Geschichte wird seit den späten 60er Jahren all zu gerne auf die Zeit des Nationalsozialismus reduziert. Durch diese Verengung des historischen Blickwinkels gerät auch der Preußische Staat unter den Generalverdacht, ein Vorläufer, bzw. die Voraussetzung für das Hitlerregime gewesen zu sein. Da die geschichtliche Deutungshoheit in den letzten vierzig Jahren eindeutig nach links wies, ist es kein Wunder, dass das stupide wiederholte Mantra "Die Preußen sind an allem schuld" in das kollektive Bewußtsein unseres Staates Eingang gefunden hat. In der letzten Zeit scheint allerdings ein Paradigmenwechsel stattgefunden zu haben. Die Zahl der Historiker, die sich unvoreingenommen mit der deutschen Geschichte beschäftigen nimmt stetig zu und aufgrund dessen ist es nicht verwunderlich, wenn sich auch die Ergebnisse dieser neueren Untersuchungen von tradierten, voreingenommenen Positionen unterscheiden. Ehrhardt Bödecker legt mit seinem Buch Preußen, eine humane Bilanz einen weiteren Schritt zur Korrektur eines bedeutenden Teils der deutschen Geschichte vor.

Preußen war, wie Bödecker nicht müde wird zu betonen, ein zu seiner Zeit auf nahezu allen Gebieten führender Staat. Die Wissenschaft stand im bereits damals stattfindenden Wettbewerb der Nationen an führender Stelle und ihre Sprache war Deutsch. Das politische System war transparenter und die Aufstiegsmöglichkeiten klassenunabhängiger als in Staaten wie z. B. Großbritannien oder Frankreich. Der gebetsmühlenhaft vorgetragene Vorwurf des Militarismus, den viele Historiker dazu benutzen, um den Staat Preußen generell zu diskreditieren, zielt ins Leere, wenn man die militärischen Aktivitäten der benachbarten Staaten betrachtet. Frankreich war seit der Diktatur Napoleons im kollektiven Nationalbewußtsein immer die "Grande Nation", England beherrschte und verwaltete zur gleichen Zeit große Teile der Welt - nicht nur mit der Feder.

Die Wirtschaft war weit davon entfernt dem Manchesterkapitalismus Großbritanniens und dem daraus resultierenden Anglo-amerikanischen Wirtschaftsmodell zu folgen, sondern bevorzugte die davon differierende Methode der ausgeübten Verantwortung des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitern. Ehrhardt Bödecker belegt jede seiner einzelnen Aussagen mit seriösen Quellenangaben und beweist damit, dass der Staat Preußen anders, besser war, als in zahlreichen Publikationen beschrieben.

Woher kommt diese Leugnung von historischen Fakten und weshalb beherrscht sie in so großem Maße das kollektive Bewußtsein nicht nur von Historikern? Die Antwort auf diese Frage ist schnell gegeben. Seit dem Kriegsende am 8. Mai 1945 war es erklärte alliierte Politik, den preußischen Staat als Hauptgrund für den Nationalsozialismus zu sehen. Aus diesem Grund verfügte 1947 der Alliierte Kontrollrat der vier Besatzungsmächte in Deutschland die formelle Auflösung Preußens.

Hier sei doch eine, nach heutigen Maßstäben beurteilt, ketzerische Bemerkung angebracht. Der Bessere erregt stets den Neid der Anderen. Der Erfolgreiche muss gegen die Borniertheit und die Ignoranz der Mittelmäßigen kämpfen. Das ist bei Staaten nicht anders als im zwischenmenschlichen Umgang. Gerade weil Preußen in fast allen Bereichen ein erfolgreicher Staat war, weckte er bei seinen Nachbarn Neidgefühle, die sich nicht nur in verbaler Aggression äußerten. Besonders Großbritannien, das in Preußen zu Recht einen überlegenen Konkurrenten sah, war die große treibende Kraft, die kontinuierlich auf eine Konfrontation zu steuerte.

Dieser Staat, Preußen, der nach den zutreffenden Ergebnissen des Autors weit entfernt vom dämonisierten und allgemein verbreiteten Bild des Obrigkeitsstaates war, wartet noch auf seine historische Rehabilitation. Ehrhardt Bödecker hat mit seinem Buch Wesentliches dazu beigetragen.

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