Buchkritik -- T. C. Boyle -- Hart auf hart

Umschlagfoto, T. C. Boyle, Hart auf hart, InKulturA Wo endet die Freiheit des Einzelnen und wo beginnt der legitime Anspruch des Staates auf den Gehorsam und die Gesetzestreue seiner Bürger? In den USA, dem Land, das noch immer von seinen Mythen des freien Individuums, der schier unbegrenzten Möglichkeiten und des "so wenig staatliche Einmischung wie möglich" zehrt, ist längst eine flächendeckende Überwachung der Bürger an der Tagesordnung. "Hart auf hart", der neue Roman von T. C. Boyle ist in diesem amerikanischen Spannungsfeld angesiedelt und erzählt die Geschichte einer Familie, die daran scheitert.

Auf vielen erzählerischen Ebenen angelegt, ist er ein Abgesang auf eben diese amerikanischen Mythen, die längst ihre Gültigkeit verloren haben und nur noch nostalgischen Charakter besitzen.

Da sind Stan und Carolee, die immer noch die bürgerliche Fassade aufrecht zu erhalten bemüht sind und doch genau wissen, dass längst der Zeitgeist sowohl gegen die Tradition als auch gegen das amerikanische Lebensgefühl gesiegt hat.

Während einer Kreuzfahrt tötet Stan einen Menschen, der die Ausflugsgruppe des Ehepaars überfallen wollte. Er erhält für seine Tat Bewunderung und Zuspruch und muss sich vor keinem Gericht verantworten.

Da ist Sara, eine Frau mittleren Alters, die sich weigert, staatliche Regeln, sprich Gesetze und Vorschriften zu akzeptieren und die den Staat als Instrument der Unterdrückung betrachtet. Wegen der Weigerung, bei einer Verkehrskontrolle ihre Papiere zu zeigen, wird sie verhaftet.

Da ist Adam, der Sohn von Stan und Carolee, dessen Vorbild der Trapper John Colter (1774 - 1813) ist, der wegen seiner Abenteuer und Erlebnisse in die amerikanische Mythenbildung eingegangen ist. Adam ist eine labile Persönlichkeit, deren psychische Störung ihn den Bezug zur Realität verlieren lässt.

T. C. Boyle beschreibt die Distanz, die die Personen zur gesellschaftlichen Realität besitzen. Stan und Carolee halten verzweifelt an alten Mustern fest, da sie mit der modernen Welt nichts anfangen können. Als Veteran des Vietnamkrieges entfernt sich Stan mehr und mehr von der Gesellschaft. Das ist für ihn eine doppelte Niederlage, war er während seines Berufslebens doch Rektor an einer Schule und damit für die Bildung der nachfolgenden Generationen verantwortlich. Und auch als Vater von Adam war es ihm nicht möglich, einen bleibenden Einfluss auf seinen Sohn auszuüben.

Boyle erzählt vom Scheitern derjenigen, die noch mit intensiver Verzweiflung am amerikanischen Mythos festhalten und ihn zu ihrer Lebensmaxime machen wollen. Sara, die sich als Rebellin gegen das System versteht, kann gleichzeitig nur schwer ihren Hang zu übermäßiger und ungesunder Nahrungsaufnahme unterdrücken und sieht in dem Psychopathen Adam, der zudem viele Jahre jünger ist als sie, ihren Lebenspartner und versucht mir allen Mitteln, ihn zu einer Beziehung zu drängen.

Adam, dessen Vorbild John Colter ist, versucht dessen Leben bis zur Selbstaufgabe zu imitieren. Er lebt teilweise in den Wäldern, kann sich jedoch, im Gegensatz zu John Colter, nicht mit den Mitteln, die diese ihm bieten, ernähren und unternimmt immer wieder Einbrüche, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Alle Personen sind gefangen in einem Kreis von Selbstbetrug und individueller Schwäche.

Als Adam einen Menschen tötet gerät die Situation außer Kontrolle und die Jagd auf ihn beginnt. Sogar Sara, die sich doch als Totalopposition gegenüber dem System versteht, distanziert sich von ihm. Am Ende erweisen sich die Träume von Freiheit und Unabhängigkeit entweder als Irrtum oder, bei Adam, als Ausdruck kognitiver Dissonanz, die zur Tragödie führen muss.

"Hart auf hart" hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck, werden doch viele lose Enden nicht zu einem stimmigen Ganzen verknüpft. Ist Adam das Produkt des gescheiterten amerikanischen Mythos oder einfach nur ein psychisch gestörter Mensch, der dringend ärztliche Hilfe benötigt?

Sara, eine der Hauptpersonen des Romans, taucht auf den letzten Seiten nicht mehr auf, obwohl ihr ein Strafprozess droht und der Leser sich fragt, wie ihr vermeintlicher Kampf gegen das System von diesem wohl beantwortet wird.

T. C. Boyle spricht an einer Stelle seines Romans einmal von der Wut, die tief in der Psyche amerikanischer Menschen verwurzelt ist. Manche von ihnen werden Börsenmakler oder Polizisten - die anderen Straftäter. Darüber hätte man gern ausführlicher gelesen.




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Veröffentlicht am 21. März 2015