Buchkritik -- Jörn Leogrande -- Bad Company

Umschlagfoto, Buchkritik, Jörn Leogrande, Bad Company, InKulturA Willkommen im Paralleluniversum. Am 25. Juni 2020 war die Show vorbei. Das gehypte DAX-Unternehmen Wircard war pleite und mit dem ehemaligen Vorstandsmitglied Jan Marsalek verschwanden zufällig auch 1,9 Milliarden Euro. Spurlos natürlich. Aus den Niederungen des „Pay for Porno“ zu einem globalen Dienstleister des elektronischen Zahlungsverkehrs im Onlinehandel. Nicht nur zu irgendeinem, sondern zu dem Bullen im deutschen (Börsen)Stall, der die gierigen Herzen von Anlegern höher schlagen ließ und Politiker auf die Bühne rief, die, berauscht von Digitalisierung, ohne deren Hintergründe zu verstehen, sich schulterklopfend selber beweihräucherten, weil endlich am beschränkten Horizont dieser Kaste jemand aufgetaucht war, der den Amis mal so richtig das Fürchten lehrte.

Immerhin 15 Jahre hat es Jörn Leogrande in dieser Freakshow ausgehalten, in der die Bewohner der obersten Etage, die Lenker und Strategen der Wirecard AG – darf man sie als Menschen mit einem vom Durchschnitt abweichenden Verhaltensmuster bezeichnen? – das Schicksal dieses Global Players lenkten – und letztendlich versenkten.

15 Jahre? Eine lange Zeit, die von Höhen und Tiefen, Insolvenzen und Innovationen geprägt war und Mann und Frau – jetzt folgt ein stets beliebtes Argument des Post-Scheiterns – dabei sein wollte, wenn etwas Gutes, etwas, das die Menschheit voranbringt, geschaffen wird.

„Bad Company“ ist eine Aufarbeitung – Abrechnung wäre ein zu hartes Wort – der Erfahrungen und Erlebnisse eines Insiders. Und so liest man denn auch eine spannend zu lesende Reportage, die mit einem lachenden und zugleich weinenden Auge geschrieben wurde.

Haben sich die Leserinnen und Leser erst einmal mit der Diktion des Autors, dessen Jahrgang eigentlich nicht mehr für Hipstersprech stehen sollte, vertraut gemacht, dann erhalten sie einen tiefen Einblick in die noch tieferen Abgründe dessen, was dem Mann und der Frau auf der Straße gerne vorenthalten wird und doch als unabdingbare Voraussetzungen eines erfolgreichen Unternehmers gilt: übersteigertes Sendungsbewusstsein, Solipsismus, Größenwahn und eine von der Norm abweichende Persönlichkeitsstruktur.

Alles im Überfluss vorhanden bei den Big Leadern der Wirecard AG.

Jörn Leogrande nimmt kein Blatt vor den Mund und reflektiert auch selbstkritisch und mit viel, sehr viel Businessspeak seine Jahre in diesem Unternehmen, dessen Mitarbeiter sich nicht zuletzt aufgrund des manchmal erratischen Führungsstils alles abverlangen mussten. Warum eigentlich? Auch diese Frage beantwortet der Autor offen und ehrlich. Man war nicht die Macht, man war aber nahe dran.

Die Wirecard Story, auch die Geschichte von Verführern und Verführten.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 3. Februar 2021