Buchkritik -- Brendan Simms -- Hitler: Eine globale Biographie

Umschlagfoto, Buchkritik, Brendan Simms, Hitler, Eine globale Biographie, InKulturA Hitler war und ist das Objekt zahlreicher Biografien, wie die von Alan Bullock, Joachim Fest, Ian Kershaw und Volker Ullrich. Aber sie alle haben ihn haben – Hitler – falsch verstanden. Dieser Meinung ist zumindest Brendan Simms, der mit seiner jetzt vorgelegten politischen Biografie Hitlers nicht nur in Historikerkreisen für kontroverse Diskussionen sorgen dürfte.

Sein zentrales Argument „Hitlers Hauptanliegen während seiner gesamten Karriere war Angloamerika und der globale Kapitalismus, nicht die Sowjetunion und der Bolschewismus“, und weiter, „Hitler wollte das, was er als Rasseneinheit in Deutschland betrachtete, herstellen, indem er die kapitalistische Ordnung überwand und für den Aufbau einer neuen klassenlosen Gesellschaft arbeitete“, bedeutet nichts weniger, als, wie es Simms betont, dass Hitler ein Sozialist gewesen ist.

Eine zumindest steile These, die, folgt man der Argumentation des Autors, durch die Tatsache bestätigt wird, dass sich die Gewalt der nationalsozialistischen Sturmtruppen in den frühen 1930er Jahren gegen deutsche Konservative und nicht gegen Sozialisten und Kommunisten richtete. Letztere bildeten jedoch die überwiegende Mehrheit der rund 200.000 Gegner des Nationalsozialismus, die während Hitlers erstem Regierungsjahr in Konzentrationslager gebracht wurden.

„Mein Kampf“ war, so Simms, die Darstellung der Bedrohung durch Kommunismus und Sozialismus, die den politischen Teil des Textes beherrschte und in dem Hitler seine Überzeugung darlegte, dass „die Bolschewisierung Deutschlands[...]die vollständige Vernichtung der gesamten christlich-westlichen Kultur bedeutet“. So liegt der Schwerpunkt des zweiten Buches dann auch nicht auf den USA, die nur auf wenigen Seiten erwähnt werden, sondern auf der Notwendigkeit eines „Lebensraums“ in Osteuropa und auf deutschen Ansprüchen an das italienische Südtirol.

Die zentrale These in der sozialistischen Ideologie ist der Glaube, dass der Kapitalismus die Masse der Menschen unterdrückt und gestürzt oder zumindest in ihrem Interesse moderiert und reguliert werden muss. Genau das hat, so noch einmal Brendan Simms, „Hitler sehr effektiv getan“: Indem er die deutsche Industrie verstaatlicht und sie zu Instrumenten seines politischen Willens gemacht hat.

Praktisch alle wichtigen Ereignisse in der Geschichte des Dritten Reiches führt Simms auf Hitlers Antiamerikanismus zurück, sogar das landesweite Pogrom der Reichskristallnacht im November 1938, als Tausende jüdischer Geschäfte und Synagogen zerstört wurden und 30.000 Juden in Konzentrationslager gebracht wurden. Eine zumindest diskussionswürdige These.

Immer wieder betont Simms mit rhetorischer Finesse seine Behauptung, dass die USA im Mittelpunkt von Hitlers Außenpolitik standen, indem er sich auf „Anglo-Amerika“ bezieht, wenn er in Wirklichkeit nur über Großbritannien spricht. Er zitiert eine Proklamation Hitlers, in der er am Neujahrstag 1944 sagte, dass der Krieg gegen die „bolschewistisch-plutokratischen Weltverschwörer und ihre jüdischen Drahtzieher“ geführt werde. Einige Zeilen später wird daraus jedoch ein Kampf gegen den „angloamerikanischen Imperialismus“, und jede Erwähnung der Bolschewiki ist verschwunden. Hitler äußerte sich jedoch eindeutig: „Alles, was ich tue, richtet sich gegen Russland.“

Simms hat mit seiner politischen Biografie Hitlers in ein Wespennest gestochen und, so wirft es ihm ein Kritiker vor, die Vergangenheit für heutige politische Zwecke instrumentalisiert. Gerade weil dieses Werk mit profunden Kenntnissen und stimmigen Argumenten aufwartet und damit vom politisch-wissenschaftlich Erlaubten abweicht, verdient die Arbeit des irischen Historikers erhöhte Aufmerksamkeit.




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Veröffentlicht am 9. November 2020