Buchkritik -- Peter Scholl-Latour -- Arabiens Stunde der Wahrheit

Umschlagfoto  -- Peter Scholl-Latour  --  Arabiens Stunde der Wahrheit Peter Scholl-Latour ist einer der letzten großen Welterklärer, der sein Lesepublikum mit fundierten historischen, politischen und gesellschaftlichen Kenntnissen über die von ihm besuchten Ländern informiert. Der große alte Mann der politischen Reportage hat es immer verstanden, seine Analysen durch profundes Wissen und eigenen Erfahrungen zu erstellen. Während viele, gerade junge Kollegen, überwiegend aus der sicheren Umgebung befestigter Militärlager berichten, ist Scholl-Latour nicht nur in die Kriegs- und Krisengebiete hineingegangen, sondern hat es auch verstanden, beide Seiten eines Konflikts zu beleuchten. Er kann auf eine langjährige Erfahrung und ein umfassendes historisches Wissen über seine jeweiligen Aufenthaltsorte zurückgreifen. Viele seiner von selbst ernannten Experten belächelten Analysen haben sich als zutreffend erwiesen.

In seinem aktuellen Buch Arabiens Stunde der Wahrheit: Aufruhr an der Schwelle Europas hat er die politische Situation Nordafrikas und des Nahen Ostens analysiert. Der historische Zufall wollte es, dass just zur Zeit der Drucklegung dieses Buches der sog. "Arabische Frühling" durch die Ländern Nordafrikas wehte.

Nicht wenige westliche Politiker und Journalisten feierten die Rebellionen in diesen Ländern als Anzeichen einer Wendung zu demokratischen Strukturen und der Abkehr von islamischer Despotie. Peter Scholl-Latour sieht das etwas nüchterner. Er, der profunde Kenner arabisch-orientalischer Verhältnisse, mahnt - wie immer ohne falsches Pathos - zur ruhigen und sachlichen Beurteilung der Umwälzungen, die im Moment in den nordafrikanischen Ländern vor sich gehen.

Seine Einschätzung der Lage ist dann auch eine vollkommen andere, als es dem Publikum in den westlichen Ländern von den Medien berichtet wird. Wer dachte, dass quasi über Nacht der z. T. Jahrhunderte währende islamische Einfluss unter dem Tastengeklapper von einigen Bloggern hinweg gefegt werden würde, den belehrt die Realität - und Peter Scholl-Latour - eines Besseren.

Seine zahlreichen Reisen durch die Länder Afrikas haben ihn in engen Kontakt mit den maßgeblichen politischen und religiösen Eliten dieser Staaten gebracht. Aus dieser Perspektive ergibt sich ein weitaus differenzierteres Bild afrikanisch-islamischer Befindlichkeit, als man es von westlichen Journalisten und Politikern gewohnt ist zu hören.

Auch wenn Scholl-Latour die Veränderungen zumeist positiv sieht, bleibt er mit seiner Einschätzung doch eher auf der skeptischen Seite. Dabei beruft er sich zu Recht auf seine Kenntnisse der historischen und kulturellen Zusammenhänge der afrikanischen Länder, die er nicht selten bis ins Mittelalter zurückverfolgt.

Der europäische Beobachter der "Arabellion" sieht die Vorgänge in der Regel durch seine westlich-säkularisierte Brille, die ihm leider jedoch viele wichtige Gesichtspunkte vorenthält. So weist Scholl-Latour darauf hin, dass in jedem nordafrikanischen Land bis jetzt diktatorische Regimes an der Macht waren. Dies und die Tatsache, dass der Islam, eine Religion, die Staat und Glauben zu einem System geformt hat, nicht unbedingt eine demokratische Entwicklung unterstützt, bestätigt die Skepsis Scholl-Latours bezüglich einer Demokratisierung nach westlichem Maßstab.

Wer die bisherigen Bücher dieses Weltreisenden in Sachen Darstellung politisch-gesellschaftlicher Zusammenhänge kennt, den erwartet auch diesmal eine Reise durch den afrikanischen Raum und die historischen Zusammenhänge und Abhängigkeiten. Nicht immer streng chronologisch geordnet, fordert der Autor dem Leser immer den wachen Blick dafür ab, wann und wo der Autor sich gerade befindet. Leider, und das ist ein Manko dieser ansonsten so präzisen politischen und gesellschaftlichen Beurteilungen Scholl-Latours, bricht er seine Schilderungen des Öfteren abrupt ab, um eine neues Kapitel zu beginnen. An diesen Stellen wäre etwas mehr Ausführlichkeit besser gewesen.

Ob dieser Aufruhr an der Schwelle Europas zu der von den westlichen Medien propagierten Demokratie führen wird, ist mehr als zweifelhaft. Die aktuellen Entwicklungen in Ägypten und Libyen beweisen das. Der Westen sollte sich diesbezüglich keine allzu große Hoffnungen machen. Dabei sollte gerade Europa ein vehementes Interesse daran haben, dass die aktuellen politischen Veränderungen ein solides Fundament für die weitere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung Nordafrikas bilden. Bei einem Scheitern wäre das Mittelmeer nämlich nur ein unwesentlicher Schutz vor dem zu erwartenden Ansturm von Wirtschaftsflüchtlingen.




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