Buchkritik -- Paulo Coelho -- Die Schriften von Accra

UmschlagfotoPaulo Coelho, Die Schriften von Accra. InKulturA Man schreibt dem 14. Juli 1099. Die Kämpfer des Ersten Kreuzzugs bereiten den Sturm auf Jerusalem vor. In den Stunden vor der Schlacht versammelt sich eine Gruppe von Menschen um den Kopten, ein Einzelgänger, der sich keiner der in Jerusalem bestehenden religiösen Glaubensgemeinschaften angeschlossen hat, und es entwickelt sich ein Frage-Antwort Spiel um die existenziellen Fragen des Menschen.

Paulo Coelho hat in seinem Buch "Die Schriften von Accra", das vom Diogenes Verlag irreführend als Roman bezeichnet wird, auf das bereits von Khalil Gibran in seinem Werk "Der Prophet" benutze Konzept des mehr oder weniger einseitig ausgerichteten Dialogs zwischen - bei Gibran - dem Weisen Almustafa, und einer interessierten Gruppe von Fragestellern zurückgegriffen.

Bei Coelho ist es die Person des Kopten, an den sich die Fragen der verunsicherten und, in Anbetracht der bevorstehen Attacke auf die Stadt Jerusalem, verängstigten Bewohner richten. Es ist ein wunderbares Buch über die, um einen Begriff zu benutzen, der so vollkommen dem literarischen, erst recht aber dem politischen Zeitgeist widerspricht, wesentlichen Dinge, die jenseits aller Berechenbarkeit, jenseits aller Planbarkeit und völlig abseits jeglicher politischer Inanspruchnahme liegen.

Der Kopte antwortet seinen Zuhörern, zu denen ebenfalls die Führer der in Jerusalem existierenden Religionen gehören, auf scheinbar alltägliche Fragen, zu deren Beantwortung, so erweist es sich jedenfalls sehr schnell, es notwendig ist, in die Tiefe und Weite des kollektiven Bewusstseins zu dringen, um dahinter das Allgemeinverbindliche dessen, was dem Menschen ausmacht, zu finden.

Der nüchterne und moderne Mensch, der ausschließlich an Effizienz und Logik Glaubende und der die Welt als Spielbrett egoistischer Interessen betrachtet, wird dieses Buch als Erbauungsliteratur abtun und damit nur beweisen, dass er von den wirklich wichtigen Dingen unseres Dasein auf diesem Planeten keine Vorstellung hat.

"Die Schriften von Accra" ist ein Buch, dessen Rezeption wesentlich in der Tiefe und Stille der individuellen Befindlichkeit geschieht. Sentenzen, die erst im Nachhinein, erst in der persönlichen Reflexion ihre kontemplative Wirkung entfalten, führen zu einem inneren Monolog, an dessen Ende die Erkenntnis der Möglichkeit eines anderen, besseren Lebens steht.

Der Kopte beantwortet die ihm gestellten Fragen in einfachen und deshalb eindringlichen Sätzen. Kein intellektuelles Versteckspiel, keine sophistischen Haarspaltereien. Das Leben, so sein Fazit, ist zu wichtig, zu einmalig und zu wertvoll, um es mit scheinbar wichtigen Nichtigkeiten zu vergeuden. Paulo Coelho hat ein Buch geschrieben, das für den, der es zu lesen versteht, der nicht vom gerade herrschenden Trend getrieben und autark gegenüber ephemeren Modeerscheinungen ist, die Seele zum klingen bringt. "Die Schriften von Accra" ist ein wunderbar gegen den Zeitgeist geschriebenes Buch.

Sätze wie "Menschen neigen dazu, sich alle gleich zu verhalten, wobei ihnen die eigene Unvollkommenheit, ihre Ängste und Vorurteile als Richtschnur dienen." und "Tu dich mit jenen zusammen, die singen, Geschichten erzählen, das Leben genießen und freudig blicken. Denn die Freude ist ansteckend, und es gelingt ihr immer, eine Lösung zu finden, wo Logik nur die Erklärung eines Fehlers liefern kann." verlieren niemals ihre Gültigkeit.




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