Buchkritik -- Paul Collier -- Exodus

Umschlagfoto, Paul Collier, Exodus, InKulturA "In liberalen Kreisen, in denen man über die meisten Themen am besten informiert ist, war und ist die Migration ein Tabuthema. Die einzige erlaubte Meinungsäußerung ist die Klage über die allgemeine Abneigung gegen sie.", so Paul Collier, britischer Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Oxford.

Sein Buch "Exodus - Warum wir Einwanderung neu regeln müssen" beschäftigt sich mit den, wie der Autor richtig schreibt, "...weltweit noch zunehmenden Migrationsströmen in nächster Zeit" und kommt zu dem, für bestimmte Kreise und Interessengruppen provokanten Schluss, dass eine ungesteuerte Einwanderung für beide Seiten, Ausreisestaaten und Aufnahmeländer, fatale Folgen hätte. Damit ist Collier einer der ersten Wissenschaftler, der sich in seinem faktengesättigten Buch sowohl mit der Situation der armen Ländern als auch der der Einwanderungsländer beschäftigt.

Migration, Zuwanderung und Integration sind emotional hoch aufgeladene Themen und gerade in Deutschland ist es kaum möglich, eine unaufgeregte Debatte über sie zu führen. Zu schnell gelangt man in Bereiche der Subjektivität, die den Herausforderungen der in Zukunft zu erwartenden Migrationswellen nicht standhalten kann.

Migration muss, so Paul Collier, dessen Großvater selbst nach Großbritannien einwanderte, von den reichen Einreiseländern begrenzt werden, da ansonsten nicht nur für die Einreiseländer, sondern, in noch viel größerem Maßstab, auch für die Ausreiseländer wirtschaftlicher und sozialer Schaden eintreten würde.

Als Beispiel dient dem Autor die Situation Haitis, das durch Auswanderung inzwischen 85 Prozent der Gebildeten verloren hat und aufgrund dessen ein Staat ohne Entwicklungschancen ist.

"Das Argument, die Menschen hätten ein Recht auf Migration, nur weil sie arm seien, vermischt zwei Dinge, die man besser getrennt halten sollte: die Pflicht der Reichen, den Armen zu helfen, und das Recht auf freie Bewegung zwischen den Ländern. Man muss nicht letzteres gewähren, um erstere zu erfüllen. Man kann der Pflicht, den Armen zu helfen, auf vielerlei Weise Genüge tun."

Diese Aussage wird bei vielen Menschen, die sich diesem Thema ausschließlich emotional verpflichtet fühlen, Widerspruch hervorrufen, doch, so Collier, hätte moderate Zuwanderung für die einheimische Bevölkerung keine negativen Effekte. Eine beständig hohe Zuwanderung allerdings sorgt für eine Absenkung des Lebensstandards, gerade in den unteren Einkommensbereichen. Da zudem die Migranten in einem Sozialstaat ebenfalls Anrecht auf preiswerten Wohnraum hätten, würden sie in Konkurrenz zu einheimischen Bewerbern treten und damit soziale Spannungen auslösen.

Im Gegensatz zu vielen "Globalisten", für die der Nationalstaat zugunsten einer "eine Welt Theorie" überwunden werden sollte, hält Collier an dessen Konstrukt fest, denn, so der Autor, "...die Nationen [sind] keine egoistischen Hindernisse für eine Weltbürgerschaft, sondern buchstäblich unsere einzigen Systeme die öffentliche Güter bereitstellen."

Dieses nationale Identitätsgefühl, so Collier weiter, ist der Bedingung des sozialen Vertrauens, das dafür sorgt, dass die Bürger bereit sind, die Schwachen zu unterstützen. Durch ungesteuerte Einwanderung wird dieses Vertrauen untergraben und gesellschaftliche Solidarität durch Einzelinteressen und Gruppeninteressen bedroht.

Der Autor ist, so beweisen seine Thesen, ein überaus guten Beobachter des aktuellen politischen Zeitgeistes, denn er stimmt so manchen, inzwischen als Credo der Migrations-und Sozialindustrie geltenden Ansichten nicht zu.

So liegt Einwanderung, zur Beseitigung einen angeblichen Fachkräftemangels, keinesfalls im Interesse der einheimischen Bevölkerung, sondern ist ausschließlich eine Forderung der Wirtschaft, der Politiker in Unkenntnis der Fakten nur allzu gern entsprechen, da es für Unternehmen billiger ist, bereits ausgebildete Fachkräfte einwandern zu lassen, anstatt sich um die Ausbildung der einheimischen Jugendlichen zu kümmern. Auch die politische Aussage, dass wir Einwanderung benötigen, um der Überalterung entgegenzuwirken, hält er für absurd. Man könnte genausogut darüber diskutieren, ob nicht alle alten Menschen eines Landes zur Auswanderung gezwungen werden sollten. Der Schwachsinn so mancher, von Politikern gebetsmühlenhaft wiederholten Aussage wird hier deutlich.

"Exodus - Warum wir Einwanderung neu regeln müssen" ist ein Buch, das sich wohltuend an Fakten orientiert. Leider, und das ist ein kleiner Wermutstropfen, bezieht Collier nicht zu allen in seiner Untersuchung benutzten wissenschaftlichen Ergebnissen Stellung, sondern bleibt mit einem "es könnte so, aber auch anders sein" in einer argumentativen Schwebehaltung, die vollkommen im Gegensatz zu den klaren Aussagen am Ende seines Buches steht.




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Veröffentlicht am 31. Dezember 2014